Jakob der Luegner
gleich darauf mit seinem Vorgesetzten zurück und zeigt auf Schmidt, der inzwischen als einziger wieder arbeitet. Der Vorgesetzte holt Schmidt mit dem Finger zu sich heran, kein Mensch gibt mehr etwas für seinen verrückten Kopf, der Vorgesetzte beugt sich zu der Spange, betrachtet das Ding sorgfältig, wie ein Uhrmacher ein beschädigtes winziges Teilchen.
»Wo haben Sie das bekommen?« fragt er.
»Verdun«, sagt Schmidt mit zittriger Stimme.
»Das geht hier nicht. Das ist hier verboten«, sagt der Vorgesetzte. Er nimmt das Angebinde Schmidt von der Brust, steckt es in seine Tasche, notiert keinen Namen, erschießt keinen Übeltäter. Behandelt den Zwischenfall wie eine nette Abwechslung, die abends in der Kneipe allgemeine Heiterkeit auslösen wird. Er geht vergnügt zurück in das Steinhaus, der Posten paßt wieder auf anderes auf, kein Wort mehr darüber, Schmidt hat seinen Spaß gehabt und wir unser Schauspiel. So ist er bald nach Ankunft zu eigenartiger Berühmtheit gelangt, soviel zum Lebenslauf von Leonhard Schmidt.
»Ich habe im ganzen Leben noch nie was mit Gerichten zu tun gehabt«, sagt Jakob.
»Aha«, sagt Schmidt.
Sie machen sich einen gemütlichen Tag, sie nehmen immer hübsch zu zweit einen von den Säcken, die wir Träger ihnen auf den Wagenrand legen und heben ihn mit »und jetzt!« auf die richtige Stelle. Sogar der Regen stört sie nicht, weil ihr Waggon überdacht ist. In den kleinen Pausen, die dann und wann entstehen, lehnen sie sich an die Wand, wischen sich den Schweiß von den Stirnen, der auf unerklärliche Weise dorthin gelangt ist, und schwätzen wie in Friedenszeiten.
Wenn Kowalski oder die Schlamms oder Mischa keuchend ihren Sack abladen und sie neidisch ansehen und gehässig sagen, sie sollten auf sich achtgeben, sonst würden sie sich noch totarbeiten, lächeln sie. »Um uns macht euch nur keine Sorgen.«
»Das heißt, einmal bin ich Zeuge gewesen«, sagt Jakob.
»Aha.«
»Aber nicht vor Gericht. Nur im Büro von dem Staatsanwalt, der den Fall behandelt hat.«
»Welchen Fall?«
»Es ging darum, ob Kowalski dem Wucherer Porfir Geld schuldet oder nicht. Der Schuldschein war Porfir wie durch ein Wunder abhanden gekommen, und ich mußte bloß aussagen, daß Kowalski ihm sein Geld zurückgegeben hat.«
»Sind Sie denn dabeigewesen?« fragt Schmidt.
»Nicht die Spur. Aber Kowalski hat mir vorher alles Wort für Wort erklärt.«
»Aber wenn Sie nicht dabeigewesen sind, den Sachverhalt also nur vom Hörensagen kannten, hätten Sie doch gar nicht als Zeuge auftreten dürfen. Woher wollten Sie denn mit Sicherheit wissen, daß Kowalski diesem Herrn das Geld auch tatsächlich zurückgegeben hatte? Er hätte, ich will es ihm nicht unterstellen, aber es wäre immerhin denkbar, Kowalski hätte Sie doch belügen können, damit Sie zu seinen Gunsten aussagen?«
»Das glaube ich nicht«, sagt Jakob ohne langes Nachdenken.
»Er hat viel schlechte Seiten, die kennt keiner so gut wie ich, aber ein Lügner ist er nicht. Er hat mir gleich gesagt, daß er Porfir das Geld nicht zurückgegeben hat. Woher hätte er es denn nehmen sollen?«
»Und obwohl Sie das wußten, haben Sie vor dem Staatsanwalt ausgesagt, er hätte es in Ihrer Gegenwart zurückgezahlt?«
»Ja, natürlich.«
»So natürlich ist das gar nicht, Herr Heym«, sagt Schmidt belustigt, todsicher macht er sich über die bemerkenswerte Rechtsauffassung dieses komischen Volkes Gedanken, das angeblich das seine sein soll.
»Jedenfalls hat es ganz gut geholfen«, erzählt Jakob zum Ende seiner Geschichte. »Der Halsabschneider Porfir ist mit seiner Klage nicht durchgekommen. Sein Geld war weg, aber was rede ich, sein Geld! Fast jedem von uns kleinen Geschäftsleuten hat er nach und nach die Haut abgezogen. Dreißig Prozent Zinsen, können Sie sich das vorstellen? Die ganze Straße hat gejubelt, wie Porfir und Kowalski nach der Entscheidung aus dem Gerichtsgebäude gekommen sind, Porfir kochend vor Wut und Kowalski wie die liebe Sonne.«
Am Wagenrand läßt der buntäugige Kowalski seinen Sack auf den Boden fallen, mit halbem Ohr hat er was aufgeschnappt, Kowalski wie die liebe Sonne, er fragt: »Was erzählst du von mir für Geschichten?«
»Die Sache mit Porfirs verlorenem Schuldschein damals.«
»Glauben Sie ihm kein Wort«, sagt Kowalski zu Schmidt.
»Er macht mich schlecht, wo er geht und steht.«
Kowalski trabt zurück zum nächsten Sack, naß wie ein Pudel, nachdem er Jakob einen Was-soll-das-Blick zugeworfen hat.
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