Jamey. Das Kind, das zuviel wußte
von ihren Ohren herab. Ein locker sitzendes himmelblaues Oberteil ließ eine Schulter frei, sie trug dazu einen engen Minirock aus Baumwolle, ihre langen, schlanken Beine steckten in hochhackigen Plastiksandalen. Ihre Fingernägel waren lang und rosa lackiert, die Fußnägel ebenso, ihre Haut war braun wie Kaffee mit viel Sahne. Auf den ersten Blick wirkte sie wie ein typisch kalifornisches junges Mädchen, das sich für Mode interessiert.
»Das will ich hoffen«, antwortete sie mir und setzte sich auf einen Klappstuhl. »Gut, dass ich nicht die Letzte bin«, sagte sie dann.
»Stimmt nicht ganz«, sagte David grinsend und ging, um Josh zu holen.
»Tut mir Leid«, sagte Jennifer mit einem Ausdruck des Bedauerns, »ich ging gerade einige Artikel durch und blieb an einem hängen, der so gut wie unlesbar war.«
»Das macht nichts.«
Die Jungen kamen zurück. Ein paar witzige Bemerkungen, die die Nervosität nicht verdecken konnten, flogen durch den Raum, dann herrschte Schweigen. Ich sah den vieren in ihre ernsten Gesichter und begann zu sprechen.
»Ich freue mich sehr, euch alle wiederzusehen. Dr. Flowers hat mir aufgeschrieben, was ihr inzwischen gemacht habt, und ich muss sagen, dass ich sehr beeindruckt bin.«
Sie lächelten höflich, dachten jedoch: Komm endlich zur Sache, Alex.
»Ich bin hergekommen, weil man mich gebeten hat, für Jameys Verteidiger zu arbeiten, ich muss unter anderem Informationen über Jameys geistiges Befinden sammeln. Mit euch verbrachte er die meiste Zeit in den letzten vier, fünf Jahren, und ich dachte, ihr erinnert euch vielleicht an irgendetwas, das helfen könnte, zu erklären, wie es zu seinem Zusammenbruch kommen konnte. Bevor wir anfangen, möchte ich euch noch sagen, dass ich weiß, wie schwer das alles für euch ist. Wenn also einer von euch erst darüber sprechen will, soll er es tun.«
Wieder Schweigen. Zu meiner Überraschung brach Felicia es als Erste.
»Das ist doch klar, dass wir alle von dem, was passiert ist, sehr betroffen sind, in mehrfacher Hinsicht.« Sie sprach sehr leise, es war beinahe ein Flüstern. »Wir haben alle Mitleid mit Jamey, zugleich aber sind wir erschrocken, dass wir vier Jahre mit ihm verbracht haben. Vielleicht waren wir in ernster Gefahr während dieser Zeit. Eine andere Frage ist, ob man nichts hätte tun können, um all das zu verhindern. Hätten wir, seine Kollegen, vielleicht irgendetwas tun können? Und, was mich persönlich besonders stört: Seine Verbrechen haben ein schlechtes Licht auf unser Projekt geworfen, drohen, in unser Leben einzugreifen. Ich weiß nicht, wie es bei euch ist, aber ich werde andauernd von Reportern belästigt.«
Josh schüttelte den Kopf.
»Wir haben eine Geheimnummer.«
»Wir auch«, sagte Jennifer. »Dr. Austerlitz erhielt einige Anrufe in seinem Büro, aber er sagte, ich sei außer Landes.«
»Unsere Nummer steht im Telefonverzeichnis, und drei Tage lang waren sie hinter mir her«, sagte David. »Vorwiegend Boulevardpresse, miese Schreiberlinge. Es hatte keinen Zweck, sie abzuwimmeln, sie riefen immer wieder an. Schließlich redete ich nur noch Lateinisch mit ihnen, bis sie mich in Ruhe ließen.« Zu Felicia sagte er: »Das musst du nächstes Mal auch versuchen.«
Sie kicherte nervös.
»Felicia, du hast das Problem sehr schön zusammengefasst. Wir können jetzt darüber reden. Bei welchem der erwähnten Punkte wollt ihr anfangen?«
Sie zuckten die Schultern und blickten zu Boden. Aber so einfach wollte ich es ihnen nicht machen.
Sie alle waren hoch begabt, aber trotzdem Jugendliche, befangen in Selbstbezogenheit und Fantasievorstellungen von der eigenen Unsterblichkeit. Kein Wunder schließlich, hatte man doch immer wieder betont, wie intelligent sie seien, hatte ihnen erzählt, dass sie alles, was ihnen im Leben widerfuhr, damit meistern würden. Jetzt aber war etwas geschehen, das ihre Unfehlbarkeit erschütterte. Das musste nicht leicht für sie sein.
»Also gut«, sagte ich, »fangen wir mal mit Folgendem an: Hat einer von euch das Gefühl, er hätte etwas unternehmen können, um zu verhindern, was mit Jamey geschehen ist, und wenn, fühlt ihr euch schuldig, dass ihr es nicht getan habt?«
»Schuldig ist zu viel gesagt«, meinte Jennifer, »aber ich frage mich, ob ich mehr hätte tun können.«
»In welcher Hinsicht?«
»Ich weiß es nicht. Ich bin ziemlich sicher, dass ich die Erste war, die bemerkt hat, dass etwas nicht stimmt. Vielleicht hätte ich mich früher um Hilfe bemühen
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