Jamey. Das Kind, das zuviel wußte
gesehen, Alex. Sie haben ihn regelrecht ausgeweidet. Du weißt ja, was ich von dem Typen hielt, aber das war denn doch zu viel.«
Wir verließen den Tatort und gingen die Straße entlang. Im Staub lag eine riesige Schraube, der Milo einen Fußtritt gab. Ein Krähenschwarm flog auf, man hörte ihr Kreischen, bis sie hinter einem entfernt gelegenen Hügel verschwunden waren.
»Erzähl mir ein bisschen von der Skulptur, die er gekauft hat.«
»Ein Klumpen aus durchsichtigem Plastik mit einer ganzen Menge Spielzeug drin, aus dem ein Bild zusammengesetzt wurde.«
»Eine aufgehängte Ken-Puppe, sagst du?«
»Ja, sie hängt an einer Schlinge, und in ihrem Bauch steckt ein Messer. Wirklich aufmerksam wurde ich erst, als ich den Titel las: Die verwerfliche Tat. Diesen Ausdruck verwendete Jamey für Selbstmord.«
»Und der Künstler gehört auch zu den kleinen Genies, über die geforscht wird.«
»Ja. Er heißt Gary Yamaguchi. Die anderen sagen, er habe Jamey am nächsten gestanden. Er ist öfter mit ihm und Chancellor abends weggegangen.«
»Was waren noch für Spielsachen in der Skulptur?«
Ich merkte, dass ich mir das Kunstwerk nicht sehr genau angesehen hatte. Ich versuchte, mich an Einzelheiten zu erinnern.
»Die Szene spielt im Zimmer eines Teenagers. Fußballfähnchen, ein Tagebuch, kleine leere Pillenschachteln, ein Spielzeugmesser und imitiertes Blut.«
Milo runzelte die Stirn.
»Hört sich nicht so an, als ob es sich lohnt, viel Geld dafür zu bieten. Fällt dir noch etwas ein?«
»Warte mal, da waren ein paar Barbie-Fotos, ein Poster von Elvis und Liebesbriefe.«
»Was für Liebesbriefe?«
»Sie waren winzig klein, nur zwei Zentimeter groß, und darauf stand I love You. «
»Und dann mittendrin Ken mit einem Messer im Leib?« Er schüttelte den Kopf. »Und das nennt man Kunst.«
Wir gingen ein bisschen auf und ab.
»Diese Rocker tauchen ja wirklich überall auf«, sagte ich.
»Ja, ja.«
»Wirft das nicht ein ganz neues Licht auf die Lavendelmorde?«
»Es macht die Dinge komplizierter, und wenn du wissen willst, ob es Cadmus etwas nützt, dann ist die Antwort nein. Das Einzige, was dabei herauskam, ist, dass Chancellors und Cadmus’ Schnippelverein zwei Mitglieder mehr hat, als wir dachten. Mir leuchtet das ein, denn Chancellor ist nie in Boystown gesehen worden, und ein Kerl wie er wäre jedem gleich aufgefallen. Er war ein Managertyp, gewohnt, Arbeit zu delegieren. Es ist gut möglich, dass er die Rocker losgeschickt hat, um hübsche Jungen aufzugabeln und sie in sein Haus zu bringen. Er hat sie vielleicht auch zu seiner Party eingeladen.«
»Das heißt, dass die Rocker ihn umgebracht haben könnten.«
»Wir haben das Messer in der Hand von Cadmus gefunden. Er kann also kein harmloser Zuschauer gewesen sein.«
»Ein Zuschauer, der wahnsinnig war.«
»Warum wurde er dann nicht auch umgebracht? Du täuschst dich, Alex.«
»Welche Rolle spielte eigentlich Radovic dabei?«
»Vielleicht hat er, während er freihatte, herumspioniert und herausgefunden, was die Rocker taten. Als er dann versuchte, sie zu erpressen, ging es ihm an den Kragen.«
»Warum aber ist er dann mir gefolgt? Und warum wollte er unbedingt Die verwerfliche Tat kaufen?«
Milo seufzte.
»Ich behaupte ja gar nicht, dass es sich wirklich so ereignet hat, ich will nur sagen, dass alles verdammt kompliziert ist und dass dabei keine Begnadigung für Cadmus herausspringt.«
Seine Kiefer spannten sich, und er holte tief Luft.
»Vielleicht wollte Radovic ja wirklich etwas für Chancellors Ruf tun. Auch Arschlöcher haben manchmal Anflüge von Altruismus. Er dachte, du wüsstest wichtige Dinge, weil du der Therapeut von Cadmus warst. Es kann natürlich auch sein, dass er ganz egoistische Pläne verfolgte und glaubte, dich vor seinen Karren spannen zu können.«
»Aber ich hatte doch Jamey seit fünf Jahren nicht mehr behandelt.«
»Das wusste er vielleicht nicht. Wahrscheinlich hat Cadmus von dir als tollem Doktor geschwärmt, sodass Radovic dachte, du hast noch mit ihm zu tun.«
Ich musste an Andrea Vanns Worte in jener Nacht in Canyon Oaks denken: Jamey hatte sehr nett und freundlich von mir gesprochen, wenn er bei klarem Verstand war.
»Das erklärt aber nicht, warum die Rocker Garys Wohnung verwüstet haben.«
»Willst du mit mir Rateonkel spielen? Na gut. Yamaguchi gehörte auch zum Schnippelverein.«
Mir wurde ganz übel bei dem Gedanken, dass noch ein Mitglied des Projekts 160 ein Mörder sein sollte.
»Das ist doch
Weitere Kostenlose Bücher