Jammerhalde: Tannenbergs siebter Fall
was denn? Etwa auf dich altes Wrack?«
»Zum Beispiel. Und darauf, dass diese Superfrau den Abend mit mir verbracht hat und nicht mit dir.«
»Na ja, wahrscheinlich hat die Dame eine soziale Ader und engagiert sich in ihrer Freizeit im Projekt Greisenbetreuung.«
»Ha, ha, ha.«
»Außerdem glaubst du doch inzwischen selbst, dass sie etwas damit zu tun hat, mein alter Junge, sonst würdest du dich bei weitem nicht so aggressiv gebärden. Ich kenne dich schließlich lange genug. Mir kannst du nichts vormachen. Außerdem weiß ich genau, was sich gerade hinter deinem ausgesprochen dekorativen Kopfverband abspielt: Chaos pur, nicht wahr?«
Tannenberg erinnerte sich erst jetzt wieder an seinen Verband. Mit fahrigen Händen wickelte er die Mullbinde vom Kopf. Sein alter Freund hatte wieder einmal recht. Seitdem er unter dem Forumsbeitrag die schockierende Signatur gelesen hatte, zermarterte er sich sein Hirn. Er fügte nacheinander ein Puzzleteil ans andere – und gelangte dabei immer wieder zu demselben, erschütternden Gesamtbild.
Auch wenn es sein Herz noch immer nicht richtig wahrhaben wollte, sein Kriminalistenhirn ließ ihm keine Ruhe mehr. Unerbittlich torpedierte es ihn mit der frustrierenden Erkenntnis, dass die Indizienlage erdrückend war. Da war zum einen die unübersehbare Tatsache, dass Johanna von Hoheneck weit und breit die einzige Person war, die einen unmittelbaren Bezug zu den beiden etwa 370 Jahre auseinanderliegenden Ereignissen aufwies. Dazu gesellte sich ihre Jagdleidenschaft, der sie nach eigenen Worten auch an der Jammerhalde frönte. Und nicht zu vergessen: ihre Berufstätigkeit am Institut für Pfälzische Geschichte und Volkskunde.
Zudem existierten noch weitere belastende Fakten: Allen voran ihre zeitliche und räumliche Nähe zu dem auf Tannenberg in Johanniskreuz verübten Anschlag. Aber auch solche scheinbaren Nebensächlichkeiten, wie die weißen Lilien in ihrem Familienwappen oder die Mitgliedschaft in einem historischen Verein, erhielten nun auf einmal eine völlig andere, weitaus zentralere Bedeutung. Und last, but not least: die Signatur Johanna – Mission 370.
Obwohl Wolfram Tannenberg nach wie vor emotional befangen war, sprang er nun über seinen Schatten und berichtete, was er bisher über Johanna in Erfahrung gebracht hatte. Dr. Schönthaler hörte sich geduldig die Informationen an, dann zog er aus einer eher belanglosen Bemerkung seines Freundes einen niederschmetternden Schluss: Als Pferdebesitzerin und Gestütsbewohnerin war es für Johanna von Hoheneck sicherlich relativ einfach, sich das Tötungsmittel T61 zu beschaffen.
Dieser argumentative Fangschuss kam völlig überraschend und gab Tannenberg den Rest. Eine Weile saß er in sich zusammengesunken auf der Bettkante und ließ den Kopf hin- und herpendeln. Für ihn war eine Welt zusammengebrochen. Seine pochenden Kopfschmerzen steigerten sich fast ins Unerträgliche. Er schleppte sich zum Waschbecken und klatschte sich mehrere Hände voll Wasser ins Gesicht. Dann ließ er den kalten Strahl über sein Genick laufen. Das half ein wenig.
»Sie braucht ja nicht selbst die Morde begangen zu haben«, brachte Dr. Schönthaler unterdessen eine neue Variante ins Spiel. »Wenn tatsächlich eine Geheimorganisation dahintersteckt, setzten diese Leute garantiert irgendwelche Handlanger für solche Angelegenheiten ein. Die machen sich bestimmt nicht selbst die Hände daran schmutzig.«
»Meinst du wirklich, dass ein Geheimbund …«
»Ja, warum denn nicht?«, fiel ihm der Hobbykriminalist ins Wort. »Vielleicht ist diese Johanna auf dich angesetzt worden, um dich auszuspionieren. Und anschließend wollte man dich töten. Vielleicht sollte ja mit deiner Ermordung ein Exempel statuiert werden, mit einer eindeutigen Botschaft: Lasst uns in Ruhe, kommt uns nicht ins Gehege. Wir sind so mächtig, dass ihr euch die Finger an uns verbrennen werdet – egal, wer ihr seid.«
»Oh je, was für ein Granatenmist«, zischte Tannenberg kopfschüttelnd in Richtung seiner Schuhe. Aber wie schon so oft in seinem Leben überfiel ihn in dieser psychisch extrem belastenden Ausnahmesituation urplötzlich ein unbändiger, trotziger Energieschub. Er baute sich vor Dr. Schönthaler auf und fixierte ihn mit einem forschen Blick. »Komm, Rainer, wir müssen los. Auf uns wartet eine Menge Arbeit.«
»So gefällst du mir schon wieder viel besser«, sagte Dr. Schönthaler und klopfte ihm auf die Schulter.
Die beiden Freunde gingen hinüber ins
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