Jan Fabel 01 - Blutadler
Aber versuch mal, ihn zuerst durch die Leute von der Abteilung Wirtschaftsdelikte weichklopfen zu lassen. Norbert ebenso.«
Fabel ging in sein Büro und schloss die Tür hinter sich. Er nahm den Telefonhörer ab und rief Susanne im Institut für Rechtsmedizin an. In der Nacht zuvor hatte er nach dem Verlassen der Speicherstadt mit ihr telefoniert, und in ihrer Stimme war eine unterdrückte Beunruhigung zu hören gewesen. Er hatte ihr versichert, dass es ihm gut gehe. Aber er müsse sich zum Präsidium aufmachen, und sie solle sich schlafen legen. Die Genugtuung, die er bei dem Gedanken verspürte, dass sich wieder jemand um ihn Sorgen machte, hatte leichte Schuldgefühle bei ihm geweckt. Nun rief er sie an, um seine neuen Ermittlungen zusammenzufassen und seine Theorie über Witrenko und dessen ›geistigen Vater‹ Blot-Sven zu erläutern.
»Das mag einleuchtend sein«, sagte Susanne, doch sie klang nicht sehr überzeugt.
»Aber?«
»Ich weiß nicht. Wie gesagt, es wirkt einleuchtend. Und ich glaube, du hast Recht - wenigstens in der Hauptsache. Ich habe keine guten Gründe, deine Theorie anzuzweifeln. Was mir zu schaffen macht, ist das Ausmaß der Beteiligung.«
»Was meinst du damit, Susanne?«
»Er handelt nicht allein. Oder vielleicht handelt er überhaupt nicht. Erinnerst du dich an Charles Manson in Amerika? An die Massenmorde in den Häusern von Sharon Tate und der Familie La Bianca? Im ersten Fall war Manson nicht einmal anwesend, und im zweiten verließ er das Haus, nachdem er seinen Anhängern befohlen hatte, die gefesselten Opfer zu ermorden, also bevor das Gemetzel stattfand. Er beging die Verbrechen nicht persönlich, doch er war für sie verantwortlich, denn er brachte andere dazu, die Morde an seiner Stelle zu verüben. Manson erzeugte eine Beteiligung, die seine so genannte Familie einschloss, ihn selbst aber ausschloss.«
Fabel dachte über Susannes Worte nach. Er hatte sich mit den Manson-Morden befasst. Der Mann hatte die Bindungen seiner »Familie« dadurch gefestigt, dass er mit allen weiblichen Mitgliedern seiner Gruppe, den »Charlies Girls«, schlief. Es war das gleiche Verfahren, durch das sich Svensson die Loyalität seiner Jüngerinnen wie Marlies Menzel und Gisela Frohm gesichert hatte. Fabel war inzwischen klar, dass Gisela und er damals nicht allein auf dem Pier gestanden hatten. Auch Svensson - unsichtbar und heimtückisch - war dort gewesen, doch nur Gisela hatte ihn wahrgenommen. Fabel atmete geräuschvoll aus, als wolle er die Gespenster in seinem Hirn verscheuchen.
»Ich weiß nicht, Susanne. Witrenko scheint mir ein sehr aktiver Schlachter zu sein, und wenn ich Recht habe, sieht er sich selbst als natürlichen Erben von Blot-Sven, dem Meister des Opfers.«
Er hörte ihren Atem am anderen Ende der Leitung. »Sei vorsichtig, Jan. Sei ganz vorsichtig.«
Kurz vor Mittag kam Werner in Fabels Büro. Jeweils zwei Beamte von der Abteilung Wirtschaftsdelikte waren immer noch dabei, Wolfgang und Norbert Eitel zu verhören.
»Markmann von den Wirtschaftsdelikten meint, das Immobiliengeschäft könnte gewisse Unregelmäßigkeiten aufweisen, aber bisher gibt's nichts Greifbares«, sagte Werner verdrießlich. »Er hält Teams bereit, die die Büros von Galicia Trading und der Eitel-Gruppe durchsuchen sollen, aber die Staatsanwaltschaft ziert sich ein wenig, bei so dürftigen Verdachtsmomenten einen Durchsuchungsbefehl auszustellen.«
Fabel nickte. Er hatte bereits einen Anruf von Generalstaatsanwalt Heiner Goetz erhalten, der sich besorgt darüber gezeigt hatte, dass so prominente Persönlichkeiten auf einen puren Verdacht hin festgenommen worden waren. Fabel kannte Goetz seit Jahren, und zwischen den beiden Männern herrschte ein gesunder gegenseitiger Respekt, doch Goetz war ein vorsichtiger und methodischer Staatsanwalt, der überstürzte Schritte nicht schätzte. Außerdem wusste Fabel, dass Goetz jede eilig errichtete Fassade durchschauen würde.
»Markmann sagt, dass seine Abteilung ohne hinreichende Verdachtsmomente keinerlei Handhabe zum Einschreiten hat«, fuhr Werner fort. »Und ohne belastende Unterlagen lässt sich keine Anklage erheben.«
Fabels Gesicht verhärtete sich. Er griff nach seinem Telefonhörer und wählte die Handynummer, die der Ukrainer ihm gegeben hatte.
»Ich hatte nicht erwartet, so rasch von Ihnen zu hören, Herr Fabel«, sagte Witrenko senior in seinem tadellosen, doch akzentuierten Deutsch.
Fabel erklärte, welche Probleme sich mit der
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