Jan Fabel 01 - Blutadler
vorbei, und er konnte einen gründlicheren Blick auf sie werfen. Sie trug ein weißes T-Shirt, das sich über ihren Brüsten spannte und ihren gebräunten Bauch frei ließ, einen verschlissenen Jeans-Minirock und Leinensandalen, deren Bänder um ihre wohl geformten Waden geschlungen waren. Fabel sah sie nur im Profil, aber sie war unzweifelhaft hübsch. Hätte sie elegantere Kleidung getragen, wäre ihr ein Hauch von Schick nicht abzusprechen gewesen. Sie überquerte die Straße zwei Autolängen vor Fabel und bog in die Gasse ein. Fabel benachrichtigte Anna und Paul über Funk, dass sie sich näherte.
»Wir folgen ihr. Ich habe von der Staatsanwaltschaft einen Haftbefehl erhalten. Wenn sie die Tür öffnet, dringen wir ein.« Er holte seine Walther aus dem Halfter und zog den Verschluss zurück, um eine Patrone in das Lager einzuführen. Dann prüfte er den roten erhobenen Sicherheitsknopf, bevor er die Waffe wieder ins Halfter steckte.
»Wir sollten vorsichtig sein. Ich bin sicher, dass Klugmann uns keine Schwierigkeiten machen wird, aber wenn doch, weiß er, wie er es anstellen muss.«
Werner überprüfte seine eigene Waffe. »Dazu kommt der Sack nicht.«
Sie stiegen aus dem Wagen und folgten Sonja zu Fuß. Als sie den geparkten Mercedes passierten, schlossen Anna und Paul sich ihnen an. Sonja, die immer noch ihre Einkaufstaschen schleppte, drehte sich um und drückte mit dem Rücken gegen die schwere Haustür. Dabei schaute sie in Richtung der sich nähernden Gruppe, ohne sie bewusst wahrzunehmen. Die Polizisten folgten ihr auf den gepflasterten Hof, und Sonjas Sandalen klapperten rasch auf den Steinstufen, die hinauf zu ihrer Wohnung führten. So leise wie möglich eilten die Polizisten die Treppe hinauf. Sonja stand an der Tür, die Einkaufstaschen zu ihren Füßen, und kramte nach ihren Schlüsseln. Dann fiel ihr Blick auf die Beamten.
»Hans!« Ihr Schrei hallte im Hof wider. Fabel war verblüfft über das Entsetzen in Sonjas Miene. Offenbar hielt sie die Polizisten für jemand anderen. Er hob die Hand zu einer Geste, die versöhnlicher gewesen wäre, hätte er nicht die klotzige schwarze Walther Automatik mit der anderen Hand umklammert.
»Frau Brun, bleiben Sie ruhig. Wir sind Polizisten, und wir wollen nur mit Hans Klugmann reden.« Ihr Schrecken mischte sich nun mit Ungewissheit. Fabel und die anderen rannten die Treppe hinauf, und die zierliche Anna Wolff stieß Sonja so heftig zurück, dass sie fast den Halt verloren hätte. Anna presste Sonja an die Wand, fort aus der möglichen Schusslinie. Fabel und Paul drückten sich an beiden Seiten der Tür gegen die Wand. Der Hauptkommissar rief: »Polizei Hamburg!«, und nickte Werner zu, der die Tür knapp unter dem Schloss eintrat.
Fabel, Werner und Paul stürmten in die Wohnung, wobei jeweils zwei dem dritten, der einen Raum betrat und ihn absuchte, Deckung boten. Ihre ausgestreckten Arme schwangen hin und her, als wären ihre Waffen Taschenlampen. Eine Küche, ein Wohnzimmer, ein Bad und zwei Schlafzimmer gingen von einem kurzen Flur ab. Die Wohnung war sauber, hell und ordentlich, doch billig möbliert. Außerdem war sie leer. Fabel ließ seine Automatik wieder in sein Schulterhalfter gleiten und nickte Anna Wolff zu. Sie bedachte Sonja mit einem Lächeln und führte sie sanft in die Wohnung. Fabel befahl Paul, die Einkaufstaschen in die Küche zu bringen. Fürsorglich führte Anna die Frau ins Wohnzimmer und ließ sie auf der Couch Platz nehmen. Sonja zitterte und schien den Tränen nahe zu sein.
Fabel hockte sich vor sie hin. »Frau Brun, wo ist Hans Klugmann?«
Sonja hob die Schultern, und in ihren nussbraunen Augen stiegen Tränen auf. »Das weiß ich nicht. Als ich heute Morgen weggegangen bin, war er noch hier. Er hat nichts davon gesagt, dass er aus dem Haus wollte. Seit dieses Mädchen ermordet wurde, ist er nicht mehr rausgegangen. Die Sache hat ihn sehr erschüttert.« Ihre Augen wurden hinter den Tränen härter. »Sind Sie deshalb hier?«
»Wir werfen ihm nichts vor, aber wir müssen ihm ein paar Fragen stellen.«
In den braunen Augen glitzerte noch immer eine Mischung aus Furcht und Zorn.
»Frau Brun, würden Sie uns einen Moment lang entschuldigen?«
Fabel wandte sich an seine Leute. »Anna, Paul - auf ein Wort. Draußen.«
Auf dem Treppenabsatz ließen Anna Wolffs und Paul Lindemanns Mienen erkennen, dass sie wussten, worum es ging. Anna beschloss, Fabel zuvorzukommen, und hob die Hände. »Tut mir Leid, Chef. Er kann auf
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