Jan Fabel 01 - Blutadler
warten. »Je weniger Leute am Tatort sind, desto besser - wenigstens, bis die Spurensicherung ihre Arbeit gemacht hat«, hatte er dem Oberst halbherzig erklärt. In Wahrheit fiel es ihm zunehmend schwer, Volkers Anwesenheit zu ertragen. Der Mann war ein Teil jener Schattenwelt, die Yilmaz beschrieben hatte und mit der Fabel so wenig wie möglich zu tun haben wollte.
Obwohl es fast Mittag war und obwohl die Fenster, die sich über die ganze Länge der Außenwand zogen, nur noch aus ein paar Glasscherben bestanden, wirkte das Schwimmbecken finster, als hätte der Schmutz von den Wänden und vom Boden die Luft durchdrungen und das Licht getrübt. Nun wurde der Dreck durch mächtige Bogenlampen hervorgehoben, die das Tatort-Team aufgestellt hatte. Das Licht fiel auf benutzte Spritzen, Präservative, Müll und in einer Ecke auf offenbar menschlichen Kot. Fabel konnte sich keinen schäbigeren Ort zum Sterben vorstellen. Sechs Spurensicherer, die wie immer ihre weißen Overalls trugen, durchsuchten den Schmutz. Brauner, der Chef des Teams, hockte neben der Leiche. Man hatte Klugmann die Hände auf den Rücken gefesselt und ihm einen Sack über den Kopf gezogen. Brauner trennte den Sackstoff, der von verhärtetem und getrocknetem Blut halb steif geworden war, vorsichtig durch. Er schaute auf und nickte, als er merkte, dass Fabel hinter ihm am Beckenrand stand.
»Er wurde erschossen, während er dort kniete, wo du jetzt stehst«, sagte Brauner. »Wie bei einer Hinrichtung und genau durch den Hirnstamm. Eine wirklich professionelle Arbeit. Er muss tot gewesen sein, bevor er hier unten aufschlug. Die Kugel trat oberhalb des Mundes aus.«
»Wie lange ist er schon tot?«
»Da musst du Dr. Möller fragen, nachdem er die Leiche untersucht hat, aber nach den äußeren Anzeichen zu schließen, dürften es wenigstens zwei Tage sein, vielleicht drei.«
Einer der Techniker rief von der Ecke des Schwimmbeckens: »Herr Brauner, bitte kommen Sie mal hierher!«
Fabel folgte Brauner in Richtung des Mannes. »Da!« Er zeigte auf einen kleinen Metallzylinder, der zwischen dem Staub und Abfall auf dem Boden schimmerte.
Brauner kauerte sich hin und hob den Gegenstand behutsam mit Daumen und Zeigefinger seines Latexhandschuhs auf. »Die Hülse einer 9-mm-Patrone.«
»Und eindeutig im Blickfeld des Schützen«, sagte Fabel. »Ein Indiz, das er mühelos hätte beseitigen können, wenn er sich rasch umgeschaut hätte. Ein dilettantischer Fehler für einen so professionellen Mörder.«
Brauner zuckte die Achseln. »Vielleicht war es zu dunkel. Oder er fürchtete, entdeckt zu werden, und verschwand rascher als geplant.«
»Kann sein«, meinte Fabel alles andere als überzeugt. Die Furchen auf Brauners Stirn zeigten an, dass ihm etwas zu schaffen machte.
»Was ist los?«
»Das Kaliber der Patrone beträgt zwar neun Millimeter, aber sie stammt von keiner üblichen Automatik. Was benutzt du? Eine SIG-Sauer P6?«
»Eine Walther P99.«
»Das würde auch nicht passen. Die meisten 9-mm-Pistolen haben entweder die Walther- oder die Smith-and-Wesson-Konfiguration. Ich nehme an, dies ist eine neun mal neun. Eine ungewöhnliche Munition für eine ungewöhnliche Waffe.«
»Hast du eine Ahnung, um was für eine Waffe es sich handeln könnte?«
»Noch nicht. Wir werden sie auf ein paar Marken eingrenzen können, aber das braucht Zeit.«
Der Gerichtsmediziner Möller traf ein. Fabel nickte grüßend. »Er ist seit ungefähr zwei Tagen tot«, sagte Fabel und ging zur Tür der Schwimmhalle. Er lächelte über Möllers Entrüstung und trat hinaus an die frische Luft.
Volker saß halb auf dem Kotflügel eines der grün-weißen Streifenwagen. »Ist es Hans Klugmann?«
»Scheint so. Aber wir müssen warten, bis Dr. Möller ihn umdreht und wir sein Gesicht sehen können.«
Eine Minute des Schweigens verging, bis Werner und Maria auftauchten. Ihnen folgte eine von zwei Technikern gezogene Karre mit dem schwarzen Leichensack.
»Es ist wirklich Klugmann«, sagte Werner.
Volker trat vor und stoppte die Techniker mit einer Handbewegung. Er sog die Luft tief in die Lunge, als müsse er sich vorbereiten, und nickte dann kurz zu dem Leichensack hinüber. Einer der Techniker zog an einer langen Lasche, und der Reißverschluss öffnete sich mit einem lauten Rasseln, sodass Hans Klugmanns purpurn angelaufenes Gesicht enthüllt wurde. Vieles von dem, was zwischen seinen Zähnen und seiner Nase gewesen war, hatte sich nun in den Krater einer Ausschusswunde
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