Jan Fabel 02 - Wolfsfährte
den Jeans der Frau bemerkt hatte, war ihm klar gewesen, dass sie es nicht mit dem Tatort zu tun hatten. Der Mord hatte woanders stattgefunden.
»Du bist aber schnell hier gewesen«, sagte er zu Brauner.
»Wir sind von einem Kommissar der Ortspolizei angerufen worden, der es nicht dem Lagedienst überlassen wollte, mich zu informieren. Wahrscheinlich derselbe, der euch benachrichtigt hat. Ein Kommissar…« Brauner versuchte, sich an den Namen zu erinnern.
»Hermann«, ergänzte Maria. »Dort drüben, das ist er.« Sie zeigte auf einen hoch gewachsenen, uniformierten Mann von Anfang dreißig. Er stand bei einer Gruppe von Schutzpolizisten, aber als er bemerkte, dass er den Mittelpunkt des Interesses bildete, machte er eine entschuldigende Geste gegenüber seinen Kollegen und schritt auf die Beamten der Mordkommission zu. Seine Bewegungen hatten eine ernste Zielstrebigkeit, und Fabel entging nicht, dass die brennende Energie in seinen hellgrauen Augen einen Kontrast zu seinem unscheinbaren Äußeren, seinem sandfarbenen Haar und seiner sommersprossigen, bleichen Haut bildete. Seine Erscheinung erinnerte Fabel an Paul Lindemann, den Beamten, den er verloren hatte. Aber als Hermann näher kam, zeigte sich, dass nur eine oberflächliche Ähnlichkeit bestand.
Der Schutzpolizist nickte Maria zu und reichte zuerst Fabel und dann Brauner die Hand. Fabel bemerkte den einzelnen silbernen Kommissarstern auf den Achselklappen der kurzen schwarzen Lederjacke.
Maria stellte ihn vor. »Das ist Kommissar Henk Hermann von der hiesigen Polizeidirektion.«
»Warum haben Sie gerade uns angerufen, Herr Hermann?«, fragte Fabel lächelnd. Die normale Aufgabe der Schutzpolizei bestand darin, den Tatort zu sichern und keine Unbefugten in den abgesperrten Bereich vordringen zu lassen, während sich die Kriminalpolizei um den Tatort selbst kümmerte. Für die Benachrichtigung der Kripo war der Lagedienst verantwortlich, und die zur Kripo gehörende Mordkommission untersuchte jeden nicht durch Krankheit oder Unfall verursachten Tod.
Ein unsicheres Lächeln ließ Hermanns dünne Lippen noch schmaler wirken. »Also…« Er schaute an Fabel vorbei zu den Leichen. »Also, ich weiß, dass sich Ihr Team auf solche Dinge spezialisiert hat…«
»Was für Dinge?«, fragte Maria.
»Na, das ist offensichtlich kein Selbstmord. Und dies ist nicht der Tatort des Verbrechens…«
»Woraus folgern Sie das?«
Hermann zögerte einen Moment lang. Es war ungewöhnlich für einen Schutzpolizisten, eine Meinung zu einer Mordszene zu äußern, und noch ungewöhnlicher, dass ein Kriminalpolizist von Fabels Rang zuhörte. Er ging um die Gruppe herum und trat an die Leichen heran, hielt dabei jedoch genug Abstand, um keine Spuren zu verwischen. Er kniete sich hin, balancierte auf den Fußballen und zeigte auf die zerschnittene Kehle des Mannes. »Natürlich kann ich nicht völlig sicher sein, da wir die Leichen nicht anrühren dürfen, aber ich habe den Eindruck, dass das männliche Opfer mit zwei Messerschnitten getötet wurde. Der erste traf ihn an der Seite des Halses, an der Schlagader, und er verblutete rasch. Der zweite durchtrennte ihm die Luftröhre.« Hermann deutete auf das weibliche Opfer. »Meiner Meinung nach ist das Mädchen an einem einzigen Schnitt durch die Kehle gestorben. Dieses Blut hier…« Er wies auf die breite Blutspur über ihre Schenkel hinweg. »…stammt offenbar nicht von ihr. Höchstwahrscheinlich kommt es von dem männlichen Opfer. Sie war dicht neben ihm, als er überfallen wurde, und das Arterienblut aus seinem Hals muss auf sie gespritzt sein. Ansonsten gibt es hier keine nennenswerte Blutmenge, was vermuten lässt, dass sich der Tatort woanders befindet und der Mörder sie hierher gebracht hat. Und das veranlasst mich zu der Meinung, dass es sich bei dem Mörder um einen großen – oder zumindest starken – Mann handelt. Es gibt kaum Schleifspuren, abgesehen von dem Moment, als er das männliche Opfer in Position brachte und der Schuh abgestreift wurde. Da man hier im Wald kein Fahrzeug benutzen kann, muss er die Opfer getragen haben.«
»Noch etwas?«, fragte Fabel.
»Ich kann nur mutmaßen, aber ich würde sagen, dass der Mörder den Mann zuerst umgebracht hat. Wahrscheinlich wares ein Überraschungsangriff. Dadurch verringerte er den zu erwartenden Widerstand. Sein zweites Opfer hatte nicht die gleiche Kraft und stellte nicht die gleiche Bedrohung für ihn dar wie der Mann.«
»Eine waghalsige Annahme«,
Weitere Kostenlose Bücher