Jan Fabel 02 - Wolfsfährte
glaube nicht, dass sie begriffen hat, was es heißt, die Unversehrtheit eines forensischen Beweisgegenstandes zu garantieren.«
»Tut mir Leid wegen des Motorrads, Holger. Hast du eine Übereinstimmung festgestellt?«
»Und ob. Der Abguss, den wir am Tatort gemacht haben, stammte von einem Motorradreifen der Größe 120- ZR 17. Das ist der Standardvorderreifen einer BMW R 1000 S . Das Abnutzungsprofil von Olsens Reifen entspricht genau unserem Abguss. Er ist also euer Mann. Oder wenigstens war sein Motorrad im Naturpark. Nun brauchen wir nur noch die Stiefel zu finden, die er trug. Ich werde mich hier mal umschauen.«
»Wahrscheinlich hat er sie an«, sagte Fabel und versuchte, sich an Olsens Fußbekleidung ein paar Stunden zuvor zu erinnern.
Maria hatte das Badezimmer durchsucht. Sie brachte einpaar pharmazeutisch wirkende Fläschchen ins Wohnzimmer. »Herr Brauner, haben Sie eine Ahnung, welchem Zweck das hier dienen könnte?«
Brauner musterte die Fläschchen. »Isotretinon und Benzoylperoxid… Hat der Mann vielleicht eine schlechte Haut?«
»Ja«, nickte Fabel.
»Das sind Mittel zur Behandlung von Akne…« Brauners Stimme stockte, während er die Fläschchen musterte und sich bemühte, einer bestimmten Erinnerung an die Oberfläche zu verhelfen. »Die Stiefelabdrücke waren riesig. Größe 50. War der Mann sehr groß? Und hatte er sehr kräftige Muskeln?«
Maria und Fabel tauschten einen Blick aus. »Ja, wirklich groß und muskulös.«
»Es mag sich seltsam anhören, aber gab es noch etwas, na ja, Merkwürdiges an seiner Erscheinung? Hatte er eine Hühnerbrust, oder schielte er vielleicht auf einem Auge?«
»Machst du Witze? Oder glaubst du ihn zu kennen?« Fabel lachte.
Brauner schaute immer noch auf die Aknemittel und schüttelte ärgerlich den Kopf. »Habt ihr etwas Derartiges bemerkt?«
»Nein«, sagte Fabel. »Er schielt nicht und hat keine Hühnerbrust. Und er ist auch kein Buckeliger mit zwei Köpfen.«
»Nein…« Brauner reagierte nicht auf Fabels Sarkasmus, sondern murmelte vor sich hin: »Es ist keine notwendige Folge.«
»Holger?«, fragte Fabel ungeduldig.
Brauner blickte von den Fläschchen auf. »Entschuldige. Ich glaube, der Mann könnte einer unter tausend sein. Buchstäblich. Seine Vorstrafen haben ausschließlich mit Gewalttaten zu tun, stimmt’s? Fälle, in denen er die Beherrschung verlor? Keine vorsätzlichen kriminellen Akte?«
»Allem Anschein nach«, bestätigte Fabel. »Abgesehen von einer Strafe wegen Hehlerei. Was hast du entdeckt, Holger?«
»Vielleicht nichts. Aber Olsen ist aufbrausend, ungewöhnlich groß und kräftig gebaut und leidet in einem Alter an Akne,in dem die meisten so etwas längst hinter sich haben. Es ist möglich, dass wir es mit einem Karyotyp XYY zu tun haben.«
»Supermann-Syndrom?« Fabel überlegte: »Ja. Ja, das könnte passen. Das mit der Akne wusste ich allerdings nicht.« Er war schon einmal einem Mann des XYY -Typs begegnet.
Das Karyotyp- XYY -Syndrom entsteht dann, wenn ein Junge statt mit dem normalen Chromosomensatz mit einem zusätzlichen Chromosom geboren wird und dem Typ 47 XYY entspricht. Diese »Supermänner« sind durch außerordentliche Größe, stärkere männliche Merkmale, eine langsamere emotionale und soziale Reife sowie durch einen hohen Überschuss an Testosteron gekennzeichnet. Dadurch haben sie oft eine impulsive Neigung zur Gewalt. Die Ansichten der Mediziner über die genaue Auswirkung der genetischen Abweichung auf ein kriminelles Verhalten waren geteilt, aber der XYY -Mann, den Fabel kannte, war, wie Olsen, riesig und von unberechenbarer Brutalität gewesen. Einige noch nicht gesicherte Forschungsergebnisse schienen auf einen unverhältnismäßig hohen Anteil von XYY -Männern an der Gefängnisbevölkerung hinzuweisen. Viele Träger dieses Chromosomentyps führen jedoch ein produktives und sehr erfolgreiches Leben, indem sie ihre Aggression für eine dynamische Laufbahn nutzen.
Fabel betrachtete die CD erneut. »Ich weiß nicht, Holger. Es würde zu der aggressiven Rockmusik passen, aber sein Verhalten in der Werkstatt war sehr beherrscht… zum Beispiel die Art, wie er Werner zurück ins Gebäude lockte. Er hatte sich seine Fluchtstrategie ganz genau überlegt.«
»Wahrscheinlich brodelte es bei ihm unter der Oberfläche, aber ihm war klar, dass er sich zurückhalten musste, bis sich eine Fluchtchance ergab. Das würde die unverhältnismäßige Gewaltanwendung erklären. Er brauchte Kriminaloberkommissar Meyer
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