Jane Christo - Blanche - 01
„Das hab ich Enzo auch erzählt und weißt du, was er getan hat? Er hat ihre Rechnung beglichen, als wäre es ’ne Pizzabestellung.“
Na toll, ein Hoch auf den heiligen Enzo – Halleluja! Als ob der nicht über Leichen gehen würde, wenn es seinem Umsatz zugutekam. Denn genau darum ging es, ums Geschäft. Unzufriedene Huren arbeiteten schlecht oder nahmen Drogen und waren schon bald ein Fall für die Sondermülldeponie. Enzo war Unternehmer, und wenn sich herumsprach, dass er seine Arrondissements nicht im Griff hatte, würden schon bald die Hyänen aus ihren Löchern kriechen und seine Bezirke in Stücke reißen. Die Russen waren nur ein Problem, wenn auch kein geringes. Sie hatten sich mit ihren Landsleuten zu einem beeindruckenden Syndikat organisiert, das sich Vory-V-Zakone nannte, was übersetzt so viel wie Diebe im Gesetz hieß. Doch in Paris war so ziemlich alles vertreten. Georgier, Rumänen, Albaner, Kroaten, Algerier, Marokkaner – sogar die Chinesen.
„Verrat mir mal, was das alles mit mir zu tun hat“, erkundigte sich Blanche. Sie passierten das Restaurant Le Murat, dessen braune Markisen soeben eingefahren wurden, weil es zu regnen begann. In zwei Minuten hatten sie die Metrostation erreicht und sie wusste noch immer nicht, was Nella ihr ach so Wichtiges mitzuteilen hatte, dass sie die ganze Stadt nach ihr abgraste.
„Enzo glaubt nicht, dass Zoey mit den Sankt-Petersburgern zusammenarbeitet, im Gegenteil. Er vermutet, dass Zoey sein eigenes Ding durchziehen will.“
„Was denn? Klein Zoey übernimmt das russische Syndikat?“ Bei diesem Gedanken musste sie lachen. „Wie soll er das anstellen, vielleicht ’ne Armee anheuern? Nella, der Typ ist eine Niete, der totale Verlierer. Der hat weder den Grips noch die Mittel, die Russen auszustechen.“
„Was die Mittel angeht, ist Enzo anderer Meinung.“
„Wenn er alles besser weiß, was will er dann von mir?“
Nella zog eine Schnute. „Sei doch nicht so zickig, Enzo ist …“
„In Ordnung, schon klar“, unterbrach Blanche sie ungeduldig. Sie hatten die Metrostation erreicht und standen nun vor dem weißen Brunnen der Place de la Porte d’Auteuil. „Sag mir einfach, was er will, dann werden wir sehen, ob ich etwas für ihn tun kann.“
Nella stieß hörbar ihren Atem aus. „Also gut“, begann sie leise und sah sich um, ob niemand in der Nähe stand. Dabei streifte ihr Blick Beliar, der ihr freundlich zunickte, doch sie sah durch ihn hindurch, als wäre er aus Glas. „Enzo weiß sicher, dass Zoey nicht für Sergej arbeitet.“
Sergej war der glavnyi der Russenmafia von Paris, der oberste Chef und Klanführer. Im Grunde das Gleiche wie Enzo, nur auf Russisch.
„Er vermutet, dass Zoey auf eigene Rechnung loszieht, um Sergej früher oder später abzulösen. Du weißt ja, dass er Victors Sohn ist und heute hier das Sagen hätte, wäre Wayne ihm nicht in die Parade gefahren.“
Eine nette Beschreibung dafür, dass Wayne Victor vom Nabel bis zum Hals aufgeschlitzt und ihn wie eine Weihnachtsgans ausgenommen hatte.
„Enzo glaubt, dass sich Zoey sein Gebiet zurückholen will – ich meine, was hat er sonst hier verloren? Er ist seit acht Wochen in Paris und hat sich nicht bei Sergej gemeldet. Hat weder um Erlaubnis gefragt, sich hier niederzulassen noch ihm seine Dienste angeboten.“
Diese offene Zurschaustellung seiner Geringschätzung glich einer Kriegserklärung, so viel verstand sie gerade noch von der Gangster-Etikette.
„Und dann fliegt Waynes Hotel in die Luft, zweiundvierzig Tote – und keine einzige Leiche haben sie gefunden, keine Überreste, nicht mal eine Schraube – wo gibt’s denn so was?“
Der Regen wurde stärker, darum schlug Nella die Kapuze ihres Parkas hoch und strich sich eine feuchte Strähne hinters Ohr, die sich aus ihrem Zopf gelöst hatte. Blanche ließ den Regen über sich ergehen, denn eine Kapuze würde ihre Sicht einschränken. Oft genug hing ihr Leben davon ab, Bewegungen aus den Augenwinkeln wahrzunehmen.
„Keine Frage, dass Zoey dahintersteckt, er hat Wayne mehr gehasst als sonst jemand“, fuhr Nella fort. „Und dann erfährt Enzo, dass Zoey nach dir suchen lässt. Nach Waynes verschollener Tochter Erienne.“
Plötzlich dämmerte Blanche, was Enzo von ihr wollte. „Er braucht einen Köder, um klein Zoey zu schnappen?“ Sie lachte abermals auf, doch diesmal war sie wirklich belustigt.
„Zoey wird keine Ruhe geben, bis er dich hat, es ist also auch in deinem Interesse, wenn Enzo ihn
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