Jane Christo - Blanche - 01
aus, denn das Letzte, das sie in diesem Augenblick gebrauchen konnte, war eine hysterische Tussi, die die Situation unnötig verkomplizierte.
Nachdem sie den Leichnam in eine Plastikplane gewuchtet und unter ihrem Bett versteckt hatte, rief sie Wayne an, der die Fünfstundenstrecke in zweieinhalb schaffte. Bis dahin hatte sie bereits alle Spuren beseitigt und wartete mit gepacktem Seesack, als Wayne ihr Zimmer durch das Fenster betrat.
Den Leichnam ließen sie eine Stunde hinter La Rochelle verschwinden, doch anstatt sie zurück nach Paris zu bringen, fuhren sie noch in derselben Nacht in die Schweiz. Drei Tage später war sie Schülerin eines Eliteinternats in Lausanne.
Ob sie sich noch an die Nacht in der Woche vor Ostern erinnern konnte? Als wäre es gestern gewesen, denn das war das dritte Mal, dass sich ihr Leben von Grund auf änderte. Nachdem Wayne die Schweiz verlassen hatte, sollte sie ihn nur noch selten zu Gesicht bekommen, denn er ließ sie nicht einmal in den Ferien zu sich kommen.
„Wieder in Paris, hat Wayne als Erstes einen neuen Pakt mit Saetan besiegelt“, fuhr Beliar fort. „Er war es leid, Dämonen zu jagen – er wollte seine Freiheit zurück. Vor ihm lagen noch fünf Jahre, dann hätte er den ersten Kontrakt erfüllt. Doch Saetan mag es nicht, Menschen aus einem Pakt zu entlassen, er hat oft versucht, Wayne länger an sich zu binden. Am Ende war er es, der den Russen den Tipp gegeben hat, Waynes kostbarsten Besitz in La Rochelle zu suchen.“
Wenn diese Scheißkerle sie damals in die Finger bekommen hätten, wäre Wayne erledigt gewesen. Er hätte alles getan, um sie zu retten, daran zweifelte sie nicht eine Sekunde.
„Also hat er ihm seine Seele verkauft“, flüsterte sie. Ihretwegen. Damit seine Feinde sie in Ruhe ließen.
„Für Wayne war das ohne Bedeutung, Blanche. Er glaubte felsenfest an seine Verdammnis. Aber bis es so weit war, wollte er frei sein. Er hatte Saetans Drecksarbeit satt und plante einen Neuanfang.“ Beliar legte die Fingerspitzen gegeneinander und fixierte sie. „Mit dir.“
Sie nahm ein Kissen und presste es gegen ihren Bauch. „Warum ist er gestorben?“
Beliars Blick wurde zu einer unlesbaren Maske. „Waynes letzter Auftrag lautete, einen Dämon Namens Tchort zu finden und zu Saetan zurückzubringen. Tchort ist ein sehr mächtiger Dämon, musst du wissen. In Russland nennt man ihn den Schwarzen Gott, das ist mehr, als Saetan von sich behaupten kann. Aus reiner Missgunst hat Saetan ihm den Rang eines Erzdämons verwehrt und so seine Macht begrenzt. Wenn ein Dämon wie Tchort bereut und sich von Saetan abwendet, ist das so, als würde sich ein Kardinal in Rom zum Islam bekennen. Saetan war außer sich vor Zorn. Er hat Wayne vierundzwanzig Stunden Zeit gegeben, Tchort zurückzubringen, und ihm zu diesem Zweck eine spezielle Waffe überlassen.“
Blanches Herz setzte einen Schlag aus. Ohne nachzudenken, schielte sie zu den Lüftungsschlitzen der Klimaanlage. Einmal mehr hatte sie den Luftschacht als Versteck für Waynes Waffe benutzt. Beliars Blick folgte ihrem und seine Mundwinkel verzogen sich amüsiert.
Er wusste es.
„Ja, das ist sie“, bestätigte er ihren Verdacht. „Mit der für diese Waffe entwickelten Munition könntest du selbst einen Erzdämon abberufen, vielleicht sogar Saetan persönlich.“
Ihre Muskeln spannten sich an und sie drückte das Kissen fester gegen den Bauch. „Was heißt abberufen? Kann man ihn damit töten?“
„Wir sind unsterblich, aber man kann unser Dasein in eine sprichwörtliche Hölle verwandeln. Saetan ist nicht zimperlich, wenn es um die Bestrafung reuiger Dämonen geht. Sie schwächen sein Reich und stärken die Gegenseite.“
Welche Gegenseite? Die Frage stand ihr ins Gesicht geschrieben.
„Wo Schatten ist, ist auch Licht.“
„Was denn, entweder wir fahren alle zur Hölle oder kommen in den Himmel?“ Sie lachte bitter. „Dazwischen gibt es nichts, schwarz oder weiß, ja?“
„Dazwischen gibt es sehr viel, doch das ist nicht unbedingt eine gute Nachricht. Manche Seelen stecken fest. Sie klammern sich ans Leben und können ihre Reise nicht fortsetzen. Was dein Verständnis für die Hölle angeht, besteht allerdings ein Missverständnis, denn durch die müssen wir alle. Auch der Weg in den Himmel führt durch das Höllentor.“
Ein Kichern formte sich in ihrem Inneren und stieg wie Kohlensäure in kleinen Blasen auf. Was für ein Schwachsinn! „Hör zu, ich glaube weder an das eine noch an das
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