Jane Christo - Blanche - 01
kleine Pisser ist. Er hat seinen Bezirk nicht im Griff und lässt sich von den Petersburgern die Eier rasieren, und nicht nur von denen. Die Buchmacher legen ihn aufs Kreuz, die Dealer bescheißen ihn nach Strich und Faden und die Waffenhändler tun nicht mal so, als würden sie ihn respektieren. Ich hätte Enzo für klüger gehalten, denn Pierres Schwäche fällt auf ihn, auf die ganze Familie zurück.“
Nella nickte und schenkte ihm ein strahlendes Lächeln.
„Was?“ Leo runzelte die Stirn.
„Und da kommst du ins Spiel.“
„Vergiss es Kind, ich arbeite nicht mehr für Louis und ganz sicher werde ich mir von diesem Wichser Pierre nichts mehr sagen lassen.“
Nella schüttelte den Kopf. „Enzo hat Pierre durch Giacomo ersetzt, du würdest nur mit ihm zu tun haben.“ Sie grinste und ergänzte: „Wenn du es machen würdest, müsste Pierre deinen Anweisungen folgen, nicht umgekehrt.“
„Hör zu, ich respektiere Enzo und will nicht unhöflich sein. Aber ehrlich gesagt habe ich keine Ambitionen, einen neuen Laden zu öffnen. Die alte Pfandleihe war sowieso nur Tarnung. Das Ganze hängt mir zum Hals raus und nun, da Renée …“ Er räusperte sich. „Ich kann das nicht mehr, verstehst du?“
Nella nickte ernst. „Enzo hat zurzeit ständig mit den Russen zu tun, darum ist auch so viel …“ Liegen geblieben? Das konnte sie ihm kaum sagen. Schief gelaufen? Auch das sprach sie nicht aus. „Mist passiert.“ Das klang nicht wirklich besser, aber Leo schien ihr nicht böse zu sein. „Enzo erwartet in den nächsten Wochen einige – äh – Lieferungen. Dafür braucht er jemanden mit Erfahrung, der sich nicht wie Pierre von den Dealern und Waffenschiebern rotes Quecksilber andrehen lässt.“
Rotes Quecksilber war ein Running Gag in der Gangsterbranche, etwas, das es nicht gab, das aber jeder haben wollte. Der zwanzig Meter lange Hai für Hochseefischer oder das Ungeheuer von Loch Ness. Ein Vieh, das noch nie jemand gesehen hat, dessen Rückenflosse aber immer wieder auftauchte und das Gerücht auf diese Weise am Leben hielt. Auf der Straße verkauften die Dealer Neueinsteigern rotes Quecksilber, einen verschnittenen Drogencocktail, den sie den Newbies als angesagten Designerstoff andrehten – natürlich ohne Nebenwirkungen. Designt war das Zeug schon irgendwie, nur nicht so, wie die Käufer dachten. Rotes Quecksilber in jeder Form verkaufte man Vollidioten, die keine Ahnung von der Materie hatten.
„Enzo braucht jemanden wie dich.“
„Hast du mit ihm geredet?“
Sie nickte. „Er will dich wirklich, Leo, und bestimmt nicht, damit du einen neuen Laden aufmachst. Du kennst doch sein Bauprojekt in der Avenue de Clichy?“
„Dieses Schickimicki Fitnesscenter im ehemaligen Theater?“
Nella verzog den Mund zu einem Lächeln „Wenn es fertig ist, wird es Enzos neues Hauptquartier, mit Gästezimmern, Konferenzraum und allem Schnick und Schnack. Neben der Muckibude entsteht eine Bar mit Wettbüro im Hinterzimmer, einem Schießstand im Keller und einer riesigen Lagerhalle in den alten Theaterkatakomben.“
Leo schnaubte.
„Komm schon, das wird eine ganz große Nummer, willst du wirklich nicht dabei sein?“
„Um den Karren aus dem Dreck zu ziehen?“
Nella schmunzelte „Was hättest du denn Besseres zu tun?“
Leo beugte sich vor und musterte sie aus zusammengekniffenen Augen. „Kind, ich erkenne dich kaum wieder. In was bist du da hineingeraten?“
Nella warf den Kopf zurück und lachte das erste Mal seit Wochen, ach was – Monaten, lauthals. „Keine Ahnung, aber weißt du was? Es fühlt sich verdammt gut an.“
Seine Mundwinkel hoben sich. Er verschränkte die Arme vor der Brust und lehnte sich wieder zurück. „Was hast du anzubieten?“
In diesem Moment klingelte das Telefon in der Mittelkonsole der Limousine. Nella hob ab und biss sich auf die Unterlippe.
Leo runzelte die Stirn, als er die energische Stimme am anderen Ende erkannte. Keine Frage, das war Enzo.
„Ja, er ist bei mir“, sagte Nella leise und blickte aus dem Seitenfenster, damit er ihre glühenden Wangen nicht sehen konnte. Sie errötete tatsächlich wie ein Schulmädchen und das als erfahrene Straßennutte, die allein mit ihrem Mund Dinge getan hatte, die sich die meisten Menschen nicht vorstellen konnten – oder wollten.
„Wirklich? Wo?“ Nella runzelte die Stirn. „Woher weißt du das?“ Ihre Augen wurden groß. „Oh Gott. Ist sie …“ Sie hielt einen Moment inne und sagte dann mit gepresster Stimme:
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