Jane Christo - Blanche - 01
Lächeln stahl sich in Nellas Züge, doch sie schüttelte den Kopf. „Das war Leo.“
„Echt?“ Seit sie Renée in diesem Kellerloch gesehen hatte, versuchte sie, nicht an ihn zu denken.
Nella nickte. „Er will dich sprechen und hat mich gebeten, dich zu ihm zu bringen.“
„Ich weiß selbst, wo ich Leo fi…“ Blanche hielt inne und seufzte. Scheiße, das wusste sie nicht. Sein Laden war ja platt und er selbst untergetaucht. Tja, anscheinend nicht besonders tief, sonst hätte er Nella nicht angerufen. Was hatten die beiden überhaupt miteinander zu schaffen? Und warum rief er Nella an, um sich mit ihr zu verabreden?
„Sieh mich nicht so misstrauisch an“, blaffte Nella und stemmte ihre Hände in die Hüften. „Ich war eine Informantin, keine Verräterin, ich hoffe, du kennst den Unterschied.“
War? Was sollte das denn wieder heißen? „Jetzt komm mir nicht blöd“, motzte Blanche. „Wir haben uns Jahre nicht gesehen und es ist ja nicht so, als ob wir vorher beste Freundinnen gewesen wären.“
Nella verschränkte die Arme vor der Brust und musterte sie. „Komm aus dem Wasser“, gab sie schließlich zurück. „Er wartet auf dich. Möchtest du vorher etwas essen?“
Blanche erhob sich und murmelte „Nur keine Umstände.“
„Ich lasse uns trotzdem etwas kommen – ich sterbe nämlich vor Hunger.“
Eine Stunde später stiegen sie aus Enzos Limousine und betraten eines seiner Wettlokale in der Nähe des Montmartre, das als Videothek getarnt war. Nur, dass es im Hinterzimmer keine Schmuddel-DVDs zu leihen gab, sondern Waffen jeder Bauart. Der Laden samt Mitarbeitern sah absichtlich so schmierig aus, um den Kundenkreis klein zu halten und die Laufkundschaft nachhaltig abzuschrecken.
Nella hatte während des Essens kaum ein Wort mit ihr gewechselt, was Blanche recht war. Nachdem sie eine zweite Hühnerbrühe und einen weiteren Liter Wasser intus hatte, legte sie ein wahres Waffenarsenal an, als würde sie in den Krieg ziehen. Selbst da schwieg Nella noch. Doch als Blanche schwer bewaffnet im Fond des Wagens Platz nahm, stieß Ernesto einen italienischen Fluch aus, der nicht klang, als würde er sich freuen, sie zu sehen.
In der Horizon Videothek fiel der Empfang ähnlich herzlich aus. Ein grimmig dreinschauender Türsteher forderte sie auf, sämtliche Waffen abzulegen, und machte Anstalten, sie zu durchsuchen. Doch bevor Enzos Gorilla Hand an sie legen konnte, steckte eine Neun-Millimeter in seinem Mund.
„Wenn du mich anfasst, verteile ich dein Spatzenhirn auf die Louis de Funès Sammlung hinter dir“, hauchte sie in sein Ohr. „Jetzt bring mich zu Leo und quatsch mich nicht blöd an. Ich hatte einen beschissenen Tag.“
Die Tür der Erwachsenenabteilung öffnete sich und ein zweiter Posten mit wasserstoffblonden Haaren erschien im Durchgang. Er betrachtete sie mit zusammengezogenen Brauen, machte jedoch keine Anstalten, seinem Kollegen zu helfen. Wie es aussah, hatte Leo sie angekündigt.
„Draufbeißen“, befahl sie dem Typen am Ende ihrer Waffe, der sie angriffslustig anfunkelte. Blanche drückte die Mündung der SIG tiefer in seinen Rachen. „Beiß auf den verdammten Lauf und geh voraus.“
Endlich schien er zu begreifen und brennender Zorn entflammte sein Gesicht. Dennoch tat er, wie ihm geheißen und betrat im Rückwärtsgang den geschlossenen Bereich. Der stickige Raum war klaustrophobisch klein und wirkte genauso abstoßend wie der vordere Teil des Ladens. Für einen Augenblick raubte es ihr den Atem, als ihr die abgestandene Luft entgegenschlug, die nach Nikotin und irgendeinem Fusel stank. Fenster gab es keine, dafür blanke Neonröhren wie in einem Verhörraum der DCRI, der Direction Centrale du Renseignement Intérieur – die französische Antwort auf das CIA.
Auf der gegenüberliegenden Seite des Eingangs schwang ein Regal mit DVDs zurück, deren Covers schmollmündige Lolitas in roten Schottenminiröcken zeigten, die die erigierten Schwänze von Gewichthebern in heruntergelassenen Bauarbeiterklamotten bearbeiteten. Sie nahm alle Details des Raums auf, bemerkte sogar, dass die verschiedenen Einbände immer die gleiche Szene darstellten, nur in anderen Positionen, mit anderen Mädchen in Rock und weißen Kniestrümpfen. Das muss eine Serie sein, dachte sie und ließ Kotzbrocken Nummer eins, den sein Kumpel Antoine nannte, wie einen Krebs mit dem Rücken voran den dahinter liegenden Raum betreten. Blondie, der zweite Wachposten, warf ihr einen bitterbösen Blick zu und
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