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Jane Reloaded - Roman

Jane Reloaded - Roman

Titel: Jane Reloaded - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beltz & Gelberg
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dachte ich und rieb mir die müden Augen, als das Auto plötzlich den Uferweg verließ und wir in einen schmaleren Pfad einbogen. Dort wurden die Bäume höher, Zweige schlugen immer wieder gegen das Dach und die Fenster, jedes Mal zuckte ich zusammen. Wir kamen nur noch im Schritttempo voran. Das lichte grüne Dickicht wurde zu einer dunklen Wand, und unter das Motorengeräusch mischten sich immer öfter schrille Schreie, die von Affen stammen mussten. Mit aufgerissenen Augen hielt ich nach ihnen Ausschau und kämpfte erneut gegen diese bleierne Müdigkeit an, die mich jetzt in noch mächtigeren Wellen überfiel und ins Dunkel ziehen wollte. Ich wehrte mich gegen den Schlaf. Auf dem Weg in das Laos-Labor wollte ich nichts verpassen. Doch ich konnte mich nicht wach halten und sah deshalb das gelbe Schild »Kontrolle 1000 Meter – Zutritt nur mit Erlaubnis« nicht mehr, das kurze Zeit später neben der Straße an einer Weggabelung auftauchte.
    Erst als die Wagentür mit einem »Willkommen« schwungvoll aufgerissen wurde, wachte ich abrupt auf. Ein kurzer Blick auf meine Uhr verriet, dass ich fast eine Stunde geschlafen hatte. Endlich frische Luft, freute ich mich, aber ich atmete nur noch heißere Luft ein, als ob ein Haarföhn mir direkt ins Gesicht, in Nase und Mund pusten würde. Jemand schaute herein und streckte mir die Hand hin. Es war Gregor, mein Vater. Ohne seine Hilfe anzunehmen, rutschte ich zur Tür und stieg aus.
    Er wollte mich umarmen, aber ich machte mich so steif, dass er in seiner Bewegung innehielt und Belanglosigkeiten von sich gab: »Jetlag, große Tochter? Du siehst schrecklich verknautscht aus. Fast hätte ich meine kleine Tanja nicht mehr erkannt.«
    Ich legte meine Hand auf seine Brust, hielt ihn auf Distanz und schaute ihn an. Ich hatte ihn einige Jahre nicht gesehen und er erschien mir sehr fremd. Sechzig war er jetzt, genau zehn Jahre älter als meine Mutter, doch er wirkte jünger, zeitloser, trotz der vielen grauen Strähnen in dem immer noch dichten, schwarzen Haar. Kleiner kam er mir vor, irgendwie geschrumpft. Oder ich war größer geworden. Er war auch schlanker, als ich ihn in Erinnerung hatte, aber das stand ihm gut und betonte seine asiatischen Züge, die Wangenknochen und seine chinesischen Augen, die so blaugrün waren wie meine. Er passte viel besser hierher als nach Deutschland, das spürte ich sofort, als ich vor ihm stand, sehr nah und doch auch sehr fern.
    »So blond hab ich dich gar nicht in Erinnerung«, sagte er und strich mir zärtlich übers Haar. Seine verlegene Geste rührte mich und ich umarmte ihn kurz und heftig. Wie ein Kind vor einer Mutprobe, das ein wenig Beistand braucht und nicht zugibt, dass ihm ganz schön mulmig zumute ist. Es tat gut, als er mir zärtlich den Rücken tätschelte.
    »Ist gefärbt«, sagte ich, löste mich schnell aus der Umarmung und schaute mich zum ersten Mal genauer um.
    Ich befand mich auf einer großen Lichtung mit Parkplätzen. Das große, weiße Haus hinter dem gestutzten Urwaldgestrüpp erschien mir so modern und gesichtslos, dass es überall auf der Welt hätte stehen können. Zwei schlammige Wege – die Regenzeit war gerade zu Ende gegangen – führten in den Wald und wurden von mehreren Wohnhütten gesäumt. Sie standen wie vorhin die Häuser am Fluss leicht erhöht auf Stelzen. Hühner pickten im Dreck oder flatterten zwischen Erde und Hausboden umher. Das sah schon etwas exotisch aus, aber auch ärmlich. Zwischen den beiden ersten Hütten waren Holzböcke aufgestellt, darauf lagen Bambusstangen, die durch die Ärmel von Hemden und Blusen gefädelt waren. Die so zum Trocknen aufgehängten Kleidungsstücke erinnerten mich an abgetrennte Oberkörper, an eine Folterkammer oder ein Massaker. Ich fühlte mich unwohl und war auch ein wenig enttäuscht. Das war nicht die Exotik, die ich hier erwartet hatte.
    Besonders war nur das große, geschnitzte Eingangstor, das den breiteren Weg überspannte, der wohl zum Haupthaus führte. Es war den Eingängen in den antiken Tempelanlagen von Thaimyla nachgebaut, deren Bilder alle Reiseführer schmückten. Dieselben feinen Schnitzereien und eingelassenen Spiegelblättchen zierten auch hier die Pfosten. Der Torfirst war gekrönt von hölzernen Pagodentürmchen, deren Messingglöckchen jeder noch so leichte Windhauch leise klingeln ließ. Relikte aus einer Zeit, als in den Tempeln die Schönheit des Paradieses auf die Erde geholt und mitten im Elend die Geister angerufen wurden. Die ganze

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