Jane Reloaded - Roman
unermesslich weit sind. Wie eng ist dagegen der Regenwald.
Sie denkt an gestern und ihr letztes Treffen mit Jamie.
Jane war vom Kopf bis zu den Zehen angespannt gewesen und unruhig auf dem Stuhl hin und her gerutscht. Dieses ständige Unter-Beobachtung-Stehen konnte sie kaum noch aushalten. Es hatte sie die ganze Zeit gefröstelt und Jamies Hand hatte bei ihrem letzten Begrüßungsritual vor der Reise leicht gezittert. Nervös waren sie beide gewesen. Weil sie inzwischen ein Geheimnis teilten, das sie ihm in den letzten Tagen Stück für Stück enthüllt hatte, in jeder Unterrichtsstunde ein bisschen mehr.
Was passieren sollte, hatte Jane in eine kleine Geschichte gepackt. Ihre beiden Namen tauchten darin zwar nicht auf, aber er hatte am Ende alles verstanden, da war sich Jane sicher. Sie war die Tochter und Jamie der Mann. Und falls das Blatt Papier jemand in die Hände gefallen wäre, dann hätte Jane es problemlos als Sprachstudie der Ich-Tarzan-Schranke verkaufen können.
Sie wusste, dass ihr Plan ziemlich naiv war, aber genau deshalb könnte es funktionieren. So etwas erwarteten weder Rita noch Gregor von ihr, besonders nicht, nachdem sie der Reise mit ihrem Vater zugestimmt hatte.
Während der letzten Begegnung war sie mit Jamie noch einmal alles durchgegangen, Zeile für Zeile, Wort für Wort, und erklärte ihm zum letzten Mal: »Alles eine Woche später.« Leise las er ihr den Text am Ende nochmals vor:
»tochter vater geh mekong seh
boot fahr wieder komm
labor komm mann schau buch
mann pack tochter kreisch tür renn baum kletter renn
weiter renn geh familie seh
viele freundschaft
augen auf mund zu.«
Am Ende nickte Jamie heftig, knüllte das Papier zusammen, steckte es in den Mund und schluckte es hinunter. Er hatte die letzte Zeile mehr als wörtlich genommen und zeigte so auf seine Art, dass er alles verstanden und begriffen hatte: Niemand durfte davon wissen.
Sie versicherte ihm zum Abschied: »Jane bald zurück. Freendyou. «
»Jamie warten , haart. « Dabei legte er die rechte Hand auf sein Herz. Und am Ende winkten sie sich zu.
Es war ein Abschied wie in allen Begegnungen zuvor. Kein Beobachter notierte eine Auffälligkeit.
Nachdem der Mekongdampfer abgelegt hat, schieben Gregor und Jane zwei Liegen in den Windschatten des Steuerhauses, denn der Fahrtwind ist unerwartet frisch.
»Welch ein Luxus«, schwärmt Jane, denn sie haben das große Aussichtsdeck ganz allein für sich.
Bevor sie es sich bequem machen, wollen sie aber noch den Kapitän in seinem Führerhäuschen begrüßen. Jane schätzt ihn auf siebzig Jahre, er muss also das alte Laos noch gekannt haben. Der Besitzer der Mekong Orcide sitzt im Lotussitz vor dem Steuerrad, genau wie rechts und links neben ihm seine zwei Lotsen, die mit bloßem Auge die Strudel und Ufer des Mekong beobachten.
»Das sind meine Söhne«, sagt der Kapitän stolz, und die Männer erzählen den Gästen, dass sie hier jede Untiefe und alle Felsen kennen, die gefährlich in die Fahrrinne ragen oder unter der Oberfläche lauern. Von einem Tag zum anderen ändere sich hier die Wasserhöhe, daher könne das Boot nachts nicht fahren. Das alte Wissen um den Flusslauf werde von Generation zu Generation bewahrt und weitergegeben. Deshalb sitzt an der Seite auch noch der zwanzig Jahre alte Enkel, der ebenfalls lernen soll, die Wasser des Mekong zu lesen.
»Fast wie bei den Klark-Frauen«, flüstert Gregor.
Jane muss lachen. »Bei uns ist Jane III der Kapitän.«
Gregor erklärt seiner Tochter während der Fahrt, was auf den selten gewordenen Uferplantagen wächst. Bergreis, Bananen oder buschige Erdnusssträucher werden dort angepflanzt. In das hohe lehmige Steilufer, an dem immer wieder Bambusleitern lehnen, sind Stufen gehauen, an flacheren Stellen wuchern Mangroven, an sandigen Ufern sind rot und blau angestrichene Langboote vertaut.
Nach einer Stunde lassen die Lotsen zum ersten Mal ein Beiboot zu Wasser, um die Tiefe der Fahrrinne zu messen. Die dafür benötigte Bambusstange hält der Enkel. Auch wenn der Schiffsrumpf auf einem Katamaran sitzt, lauern doch überall scharfe Felsen. Beim zweiten Mal darf statt des Jüngsten ein Gast mitfahren. Jane nimmt die Einladung an, obwohl ihr etwas mulmig zumute ist. Denn als sie die Stelle passieren, wo ein smaragdgrüner Nebenfluss vom kaffeebraunen Mekong verschluckt wird, schaukelt das schmale Boot heftig in den wilden Strudeln.
Zurück auf Deck trinken Gregor und Jane Tee. Und weil es so viel zu sehen gibt,
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