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Jane True 02 - Meeresblitzen

Titel: Jane True 02 - Meeresblitzen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicole Peeler
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falsch; ich war auf den besten Schulen, hatte die besten Privatlehrer und all das.« Grizzie grinste, doch es war ein Grinsen voller Sarkasmus und Bitterkeit. »Aber ich hielt alles für selbstverständlich. Ich habe die Art, wie ich erzogen wurde, nie hinterfragt – die Privilegien, die ich genoss – im Vergleich zu der Weise, wie andere Leute lebten. Wenn ich überhaupt über die Tatsache nachdachte, dass andere vielleicht weniger besitzen könnten als ich, dann ging es lediglich darum, festzustellen, ob sie da waren, um mich zu bedienen oder als meine Spielkameraden zu fungieren. ›Freunde‹ waren diejenigen, deren Eltern dieselbe Steuerklasse hatten wie meine. Alle anderen waren da, um etwas für mich zu tun.«
    Schweißperlen bildeten sich auf Salims Stirn, während er um mich herumtänzelte und seine Wurstfinger durch die Luft sausten wie korpulente Kolibris.
    »So lebte ich die ersten sechzehn Jahre meines Lebens«, fuhr Grizzie fort und schlug ihre langen Beine auf dem Friseurstuhl unter, damit sie den herumwirbelnden Derwisch nicht zum Stolpern brachte, der gerade dabei war, mich zu scheren wie ein Schaf.
    »Wenn ich überhaupt darüber nachdachte, war ich fest davon überzeugt, dass ich all das verdient hatte, und Leute, die nicht so reich wie ich waren, hatten es meiner Meinung nach eben verdient , weniger zu haben. Wie nennt man das?
Klassendiskriminierung? Und dann wären da noch der Rassismus, der Sexismus und die Homophobie. Ach ja, und die Heuchelei. Meinesgleichen fand es zwar von jeher völlig in Ordnung, Analsex mit mittellosen, schwarzen oder hispanischen, schwulen Liebhabern zu haben, aber wehe einer hätte sich geoutet oder offen gesagt, er unterstütze Antidiskriminierungsmaßnahmen, oder hätte auch nur angedeutet, dass auch Leute mit weniger privilegiertem Hintergrund vielleicht, ganz vielleicht, Zugang zu den Möglichkeiten verdient hätten, die wir hatten, weil wir nun mal mit dem Silberlöffel im Mund geboren wurden.«
    »Und was passierte, als du sechzehn warst?«, fragte ich mit durch Salims Wampe gedämpfter Stimme, der sich über mich gebeugt hatte, um irgendetwas an meinem Hinterkopf zu machen, bei dem beängstigend viel Herumgeschnippel im Spiel war.
    »Ich verliebte mich in ein Mädchen. Was, wie du dir sicher vorstellen kannst, beim Establishment ziemlich gut kam.«
    »Ha!«, stieß Salim aus und wirbelte meinen Stuhl herum, um sich Grizzie zuwenden zu können. »Gut kam!«
    Grizzie zielte mit einer imaginären Pistole auf ihn. »Wie auch immer, ich verliebte mich in ein Mädchen, das noch dazu bloß aus der Mittelklasse war. Ich weiß nicht, was in den Augen meiner Eltern schlimmer war.« Sie grinste. »Natürlich verboten sie uns den Umgang miteinander. Schickten mich in Therapie, um mich ›umzudrehen‹, denn in der Welt meiner Eltern geht es noch immer zu wie Mitte des 19. Jahrhunderts. Natürlich rebellierte ich dagegen, und schließlich taten meine Freundin und ich das, was alle jungen
verliebten Paare tun würden, deren Liebe unter einem schlechten Stern steht. Wir räumten mein Bankkonto ab, stahlen meiner Mom einen Haufen Schmuck und brannten durch.«
    Es hielt mich buchstäblich kaum noch auf dem Stuhl, zum Teil, weil mich Grizzies Geschichte so fesselte, aber auch weil mein Körper hochgezogen wurde, als mein Haar versuchte, sich dem libanesischen Wahnsinnigen zu entziehen, der sich daran vergriff. Ich starb fast vor Spannung, als Salim Grizzies Erzählung unterbrach, indem er den Föhn anschaltete. Ich erblasste, als mir klarwurde, dass nun der Part begann, bei dem ich »trocken geschnitten« wurde.
    Als er schließlich fertig war, griff Salim zu einer anderen Schere und einem Kamm. Ich schloss die Augen. Aller Mut verließ mich.
    »Und?«, quiekte ich auffordernd in Grizzies Richtung.
    »Natürlich reichte das Geld, das uns erst so viel vorgekommen war, kaum ein halbes Jahr. Und dann ging meine Freundin zurück nach Hause. Ihre Mutter und ihr Vater hatten sich einer Elternorganisation zur Bekämpfung der Diskriminierung von Homosexuellen angeschlossen und angefangen, ihr Haus mit Regenbogenfähnchen zu schmücken. Als sie zurückkam, wurde sie mit offenen Armen empfangen. Aber immerhin hatte ich durch das Weglaufen die Welt kennengelernt, wie sie wirklich war. Ich hatte Angst, war noch viel zu jung und total überfordert. Aber um wieder nach Hause zurückzugehen, hätte ich mich vorher freiwillig einer Gehirnamputation unterziehen müssen. Ich konnte mir einfach

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