Janusliebe
einem erholsamen Schlaf aus
den Federn stieg, hatte sie die ganze Unterhaltung einfach aus ihrem Gedächtnis
verdrängt. Angesichts des strahlenden Sonnenscheins, der durchs Fenster lachte,
hatte Carry keine Lust, einen so schönen Tag mit einem so schwerwiegenden Pro-
blem zu beginnen.
Aber nun würde sie sich wohl oder übel damit auseinandersetzen müssen.
Carry hoffte dabei im Stillen auf die tatkräftige Mitwirkung Daphnes, die ihr diese
Suppe schließlich eingebrockt hatte.
«Offen gestanden, finde ich Lawrence eigentlich ganz nett», gab Carry zu. «Er
gefällt mir, besonders seine Augen, aber das reicht doch nicht für eine Ehe! Wir
kennen uns wenn’s hoch kommt gerade mal vierundzwanzig Stunden.»
«Das müssen aber sehr aufregende vierundzwanzig Stunden gewesen sein.»
Daphne grinste anzüglich.
Carry zog es vor, auf diese Bemerkung nicht einzugehen. Sie sah lieber über
Daphnes Kopf hinweg aus dem Küchenfenster, vor dem ein strahlend schöner Früh-
lingstag leuchtete. Er war so richtig zum Ausspannen und Spazierengehen gemacht.
Carry bedauerte es zutiefst, dass sie ihn in der Redaktion verbringen musste.
«Lawrence wird dich gar nicht lange fragen», drang Daphnes Stimme in ihre
Gedanken. «Was der sich einmal in den Kopf gesetzt hat, gibt er nicht wieder auf.
Mach dich auf eine hartnäckige Belagerung gefasst.»
Carry riss sich von der Frühlingsidylle vor dem Fenster los und wandte sich
Daphne zu.
«Er hat mich ja noch nicht einmal gefragt, ob ich überhaupt will. Lawrence hat
nur festgestellt, dass ich die Richtige bin, und bestimmt, dass wir in vier Wochen
heiraten. Das war alles, mehr interessierte ihn nicht.»
Daphne nickte, als hätte sie nichts anderes erwartet.
«Du sitzt praktisch schon im Käfig», stellte sie nüchtern fest. «Entscheide dich
ganz schnell, ob Flucht oder Futter, sonst ist die Tür auf ewig zu.»
Als wenn das so einfach wäre, dachte Carry. Immerhin war da ja noch das klei-
ne Kribbeln im Bauch, wenn sie an Lawrence dachte. Dieses gewisse Flattern und
Zittern, wenn er sie berührte, und die Hitze im Blut, wenn er sie küsste. Alles un-
leugbare Indizien für eine beginnende Verliebtheit, die an sich herrlich war, nur
im Falle von Lawrence M. Carlson erhebliche Komplikationen barg.
«Wie soll ich einen Mann heiraten, der mich nicht liebt?», sprach Carry ihre
Gedanken laut aus.
«Indem du ihn dazu bringst, dass er dich liebt», grinste Daphne. «Außerdem
glaube ich nicht daran, dass es meinen Beinahe-Schwager nicht erwischt hat. So
idiotisch, wie er sich im Moment benimmt, benehmen sich nur Verliebte.»
«Ach, das ist doch alles Unsinn!» Carry schüttelte den Kopf.
«Warte mal.» Daphne stand auf und nahm die Kaffeekanne von der Wärme-
platte. «Die Idee ist gar nicht so schlecht.» Sie goss Kaffee nach und setzte sich wie-
der. «Wenn Lawrence am eigenen Leibe erfährt, wie es ist, so richtig doll verknallt
zu sein, dann wird er vielleicht endlich aufhören, gegen unsere Ehe zu wettern.»
Carry, die gerade an ihrem Kaffee nippen wollte, ließ die Tasse sinken.
«Nein!» Sie ahnte, was Daphne vorhatte. «Nur über meine Leiche.»
«Aber du magst Lawrence doch», meinte die Freundin unschuldig. «Wenn
du ihn doof finden würdest oder er alt und hässlich wäre, würde ich dir diesen
Vorschlag gar nicht machen. Aber so ...» Sie kicherte fröhlich. «... steht uns ein
nettes kleines Abenteuer bevor. Überschrift: Von einem der auszog, das Lieben zu
lernen.»
«Ach, Daphne, du bist ein richtiger Kindskopf!» Carry schüttelte erneut den
Kopf, aber es war eine ganz und gar verlogene Geste, denn in Wahrheit kitzelte die
Sache sie doch. Allein die Vorstellung, diesen gut aussehenden, von sich überzeug-
ten Mann so lange zu bearbeiten, bis er irre vor Liebe vor ihr auf den Knien lag und
um einen Kuss bettelte, hatte etwas äußerst Reizvolles an sich.
Na ja, vielleicht nicht irre vor Liebe, korrigierte Carry ihre Gedanken, um Rea-
lismus bemüht, aber zumindest ein bisschen gaga. Er soll schlaflose Nächte haben,
unter Appetitlosigkeit leiden und die Hände sollen ihm zittern wie einem Junkie
auf kaltem Entzug. Das würde mir schon reichen. Dann hätte Lawrence seine Lek-
tion gelernt.
Daphne fasste über den Tisch hinweg nach Carrys Hand.
«Sage ihm, dass du nur einen Mann nimmst, den du liebst und der dich liebt.
Lawrence wird dich daraufhin mit seinem Reichtum locken, dich in die besten
Restaurants führen, dir teure
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