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Jasmin - Roman

Titel: Jasmin - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C. Bertelsmann
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längeren Atem hat.
    Die Soldaten beeilten sich, von den Fahrzeugen herunterzusteigen, und betraten mit vorsichtigen Schritten die Steinplatten des großen Platzes. Abu George hatte das Gefühl, einer Ohnmacht nahe zu sein. Eine Gruppe Soldaten rückte zum Geländer am Ende des Tempelbergs jenseits der »Judenmauer« vor, zu der
sie immer zum Beten und Klagen gekommen waren, bevor ihnen die Mauern der Altstadt in jenem schrecklichen Krieg 1948 gänzlich verschlossen wurden.
    Ein Soldat zog eine Fahne aus seinem Tornister, schwenkte sie im Rund über den Kreis der Soldaten, die um ihn herumstanden. Er begann ekstatisch zu hüpfen und zu tanzen, bis er stolperte, wieder aufstand und zum Ende der »Judenmauer« schritt, wo er die Fahne aufhängte.
    »Papa, sie haben ihre Fahne hingehängt! Sie haben uns besiegt«, weinte der Junge.
    Die beiden Männer starrten auf die verhasste blau-weiße Fahne, die vor ihren Augen prangte. Die Soldaten standen stramm und sangen ihre Hymne. Ein ketzerischer Gedanke tauchte in Abu Georges Gehirn auf. Vielleicht hatten die Anhänger der Baath-Partei und der Nationalisten recht, die immer wieder behaupteten, dass der König die Palästinenser loswerden wollte, vielleicht war es wirklich so, und Hussein hatte das Westjordanland den Juden überlassen.
    Stille herrschte in der engen Gasse neben dem Moghrabiviertel. Nur eine einzige Stimme, erstickt, wie aus einer anderen Welt, eine weiche, traurige Stimme, aus einem Traum erwacht, die Stimme eines Menschen, der sich selbst gegenübersteht, vor seinem Schöpfer steht, durchschnitt das Schweigen. Abu George hatte diese Stimme schon einmal gehört, in fernen Tagen, nicht hier. Er spitzte die Ohren, strengte sich an, die Stimme zu deuten, zu enträtseln. Ein Schofar. Die geblasenen Töne waren ihm wie aus dem eigenen Herz geschnitten, ein versengtes, heulendes Herz, das die seufzende Klage der Besiegten ausstieß.
    Abu George wurde schwindlig. Die Tasche entfiel seiner Hand, er hörte ihren Aufprall nicht. Etwas würgte ihn im Hals. Er ließ seinen Tränen freien Lauf und schämte sich ihrer nicht.

2.
    ERST VOR DREI WOCHEN
    Ich fühle mich gedrängt zu sagen, »irgendwann vor der großen Flut« oder »vor dem Erdbeben, vor Jubeljahren«, doch ich halte inne, streiche und ersetze die bombastischen Worte, die von Herzen kommen, durch einfache, gängige Worte: nicht Flut noch Erdbeben, sondern schlicht der Krieg, und nicht irgendwann vor Jubeljahren, sondern erst vor drei Wochen.
    Mitte Mai 1967, in einer heißen Frühlingsnacht, kehrte ich spätabends nach Hause zurück und fand an der Tür meines Appartements einen »Befehl Nr. 8«. Die Überschrift »Dringliche Mobilmachung« prangte darauf, eine bedrohliche Kombination, nach deren Lektüre man sofort alles beiseitelegt und etwas anderes in Angriff nimmt.
    Der Befehl besagte, dass ich mich sofort bei meiner Einheit einzufinden hatte. Was war passiert? Drohte ein Krieg auszubrechen? Gegen wen? Mir drehte sich der Kopf. Es war schon Mitternacht. Wie sollte ich jetzt fahren? Nichts zu machen, sie würden bis morgen auf mich warten müssen. Ich sperrte die Haustür ab, trank ein Glas Wasser und holte den Tornister, die Uniform und die Stiefel vom Speicherboden. In den Tornister packte ich Rasierzeug, Unterwäsche, eine Schirmkappe, zwei Bücher, ein Päckchen Halva und Crackers und ging zu Bett.
    Ich konnte nicht einschlafen und schaltete das Radio ein. Ein Konzert von Umm Kulthum auf Radio Kairo beruhigte mich etwas: Wenn bei ihnen Notstand wäre, hätten sie jetzt sicher nationale Marschlieder oder Koransuren gesendet.
    Als ich endlich einschlief, drangen in meinen Schlaf die roten Falken, die vor einiger Zeit aus den kalten Ländern bei uns eingetroffen
waren und sich eilig ihr Nest unter den Schrägen des Ziegeldachs am Haus gegenüber gebaut hatten. Gestern hatte ich gesehen, dass Junge geschlüpft waren, und eines davon war aus dem Dachrinneneck gefallen und gestorben. Das Entsetzen weckte mich, und mit dem Schlaf war es vorbei.
    Ich machte mir einen Numi-Basra-Tee, Limonen aus Basra, und aß diesmal zwei Würfel Halva, um die Stunde zu versüßen. Beim ersten Morgenlicht brach ich auf. Ich musste zwei Autobusse nehmen, einen zum zentralen Busbahnhof und den zweiten zur Sammelstation.
    Die meisten Fahrgäste in dem Autobus nach Süden waren Reservesoldaten. Ich saß in der ersten Reihe am Fenster, betrachtete die wechselnde Landschaft. Für einen Moment kam mir in Erinnerung, dass ich am

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