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Jasmin - Roman

Titel: Jasmin - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C. Bertelsmann
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Lebenszeichen von Chizkel zu überbringen, und seitdem hatte ich ihn nicht mehr gesehen. Hier und dort hatte ich von ihm gehört, und manchmal sah ich seinen Namen auf dickem braunem Papier, das seine Sektion meinem Vater zusandte, mit Hinweisen zu Wochenenden und Studienabenden der Vereinigung der Babelimmigranten. Und nun hatte ich ihn vor mir, über seine Papiere gebeugt in einem kleinen, muffigen, dunklen Zimmer. Er schob die Lesebrille auf die Stirn hoch und betrachtete uns einen langen Augenblick:

    »Chizkel? Chizkel, mein Sohn?«, flüsterte er. Er erhob sich mühsam von seinem Stuhl, drückte Chizkel an sich, küsste ihn und weinte an seiner Schulter. »Gelobt sei Sein Name … Gottes Wege sind wunderbar …«, murmelte er sanft. Er war schon ein greiser Mann, der nicht mehr gut sah und hörte, müde und geistesabwesend. Auf seinem Schreibtisch stapelten sich haufenweise Papiere, Broschüren und Flugblätter, und um ihn herum auf dem Fußboden türmten sich Berge von Büchern und vergilbten Zeitungen. »Warum haben sie mir nicht gesagt, dass sie dich freigelassen haben? Warum? Eine neue Generation ist erstanden, die Josef nicht mehr kennt … Doch was habe ich davon, darüber zu murren, Hauptsache, mein Schüler und Nachfolger ist aus der Herrschaft der Bösewichter, getilgt sei ihr Name und ihr Andenken, befreit worden … Großer Gott, ist es denn eine Sünde, danach zu streben, in deinem Lande und im Kreise deines Volkes frei zu sein?«
    Er sprach stockend, doch mit lauter Stimme, wie es bei Schwerhörigen üblich ist. Chizkel betrachtete das heruntergekommene Zimmer in diesem vergessenen Winkel des riesigen Gebäudes, lauschte seinem Lehrer mit halbem Ohr, als sei die Rede nicht von ihm, und tiefer Kummer sprach aus seinem Blick.
    »Trinkt ihr Kaffee?« Der Greis bückte sich und hob eine alte Thermoskanne hoch.
    »Nein, danke, wir haben gerade einen getrunken«, sagte Chizkel.
    »Vielleicht sollten wir in die Kantine gehen, sie servieren nichts hierher …«
    »Nein, es ist gar nichts nötig. Wir sind gekommen, um Sie zu sehen.«
    Mein Blick ruhte auf der großen Fotografie von Ustad Nawi in der Offiziersuniform der irakischen Armee, ein gut aussehender junger Mann, hoch aufgerichtet, mit Schnurrbart, den ziselierten Stab der Offiziere unter die Achsel geklemmt und den Blick stolz nach vorn gerichtet. Meine Augen wanderten von der alten Aufnahme
zu dem über den Tisch gebeugten Mann vor uns. Auch Chizkel blickte abwechselnd das Bild und ihn an, und mir kam vor, als sähe er sich selbst in ihnen.
    »Chizkel, mein lieber Junge«, lachte der Greis nun mit jungenhafter Fröhlichkeit, »wer hätte das geglaubt, das gesamte babylonische Judentum hat die Zwiebeln und den Knoblauch im Stich gelassen … Wer hätte sich das jemals vorgestellt, nicht einmal Ben Gurion hat es geglaubt. Ich habe mich mit ihm in seinem Amt in Tel Aviv getroffen, er ging im Zimmer auf und ab und überschüttete uns mit Komplimenten.« Seine schwachen Augen leuchteten.
    Plötzlich wurde er wieder ernst. »Nur eins frisst an meinem Herzen. Nein, nicht der Besitz, den wir zurückließen, und auch nicht, dass wir wie Flüchtlinge aus unserem Geburtsland vertrieben wurden, das nicht, das kam alles schon vor. Es frisst an meiner Seele, dass wir unsere Geistesschätze dort zurückgelassen haben, die Talmudschulen von Sura und Pumbedita, die Thorarollen, die heiligen Schriften und philosophischen Bücher, ganze Bibliotheken, die geistigen Archive unseres Volkes … und meine riesige Bibliothek, in meinen Träumen in der Nacht wandere ich darin umher, entferne den Staub von den Büchern, küsse die Weisheit der Generationen …« Er zog ein großes Taschentuch aus seiner Tasche, schnäuzte sich und wischte seine Stirn. »Ich habe hier mit den Zuständigen für Kultur gesprochen, doch ihr Herz ist stumpf. Ignorant und ungebildet sind sie, Revolutionäre, die unsere Vergangenheit über Bord werfen wollen. Der Sozialismus ist in ihrem Kopf, Schall und Rauch …«
    Chizkel blickte mich einen Moment betreten an und senkte seine Augen auf einen Stapel von Broschüren. Er streckte kurz die Hand aus, als wollte er eine davon nehmen, doch zog er sie sofort zurück.
    »Ich will die Geschichte der jüdischen Gemeinde Babels schreiben, das Kapitel des zweiten Auszugs aus Ägypten der Kinder
Abrahams, es ist eine Generation erstanden, die Josef in Ägypten nicht mehr kennt …«
    »Mögen Sie gesegnet sein, Ustad Nawi. Sie waren immer das Richtfeuer für

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