Jasmin - Roman
Ihnen, wir werden nichts unversucht lassen, bis wir Frieden erreicht haben.«
41.
RAMLE UND DAS IMMIGRANTENLAGER
An einem Frühsommermorgen, an dem Himmel und Erde das Lob des Allmächtigen sangen, holte ich Jasmin von zu Hause ab. Ihre Wangen leuchteten rot wie die Rosen, die in den Gärten blühten, und als sie ins Auto einstieg, wurde mir ganz warm ums Herz.
»Als der Wind dem Schmetterling von deinen Lippen erzählte, verließ er die Rosen für dich …«, sang ich ihr ein Lied von Abd al-Wahab vor.
»Woher kannst du so viele arabische Lieder?«, wunderte sich Jasmin.
»Von meinen Vorfahren, aus meiner frühen Kindheit.«
»Ich habe dich noch nie auf Hebräisch singen hören«, stellte sie fest.
»Weil ich auf Hebräisch wenig singe. Weißt du, was das erste Lied war, das ich gelernt habe? ›Die Ähre im Feld beugt sich im Wind vor der vielen Körner Last.‹ Ich habe es gehört, als wir im Immigrantenlager hier ankamen, es hatte einen Geruch nach Land, Erde, Wurzeln. Ich dachte damals, wenn ich es singen würde, würde ich ein Israeli, ein Sabre. Ich weiß nicht genau, was ich geworden bin, aber die Lieder, die mir in den Kopf kommen, sind die gleichen geblieben.«
»Ich habe heute Nacht wenig geschlafen«, sagte sie und öffnete das Fenster. Ihre Haare flatterten im Wind, ihre Augen waren auf die vorübergleitende Landschaft gerichtet, wach und neugierig.
Wir fuhren über Hügel, vorbei an Pferde- und Eselställen, und gelangten auf eine schmale, schlaglochreiche Landstraße, auf der
sich Hunde und Katzen tummelten - Ramle. Ich mag diese heruntergekommene Viehzüchterkleinstadt mit den billigen Straßenlokalen und dem farbenfrohen Markt am Ortseingang. Eine gemischte Stadt, in der sich Araber, Beduinen und Juden zu einem schier unentwirrbaren Miteinander verbinden, wobei jeder doch in seiner Gemeinschaft lebt.
Jasmin bat mich anzuhalten, stieg mit der Kamera aus und begann zu fotografieren. Bald würden sich diese Bilder zu den Aufnahmen von Jerusalem und Paris gesellen, die bei ihr zu Hause an den Wänden hingen.
»Komm, wir trinken Kaffee«, zog sie mich aus dem Auto, und mit einem spitzbübischen Lächeln ließ sie eine Anspielung auf unsere erste Begegnung fallen: »Vielleicht kannst du diesmal die Zukunft aus dem Kaffeesatz lesen.«
Wir betraten eines der billigen Lokale am Straßenrand, das absolute Gegenteil zum American Colony, in dem wir uns zum ersten Mal begegnet waren, einander noch fremd und misstrauisch. Meine Schöne war die Liebenswürdigkeit selbst, nicht ablehnend wie damals, und ich war glücklich wie ein König.
Als der Kaffee serviert worden war, öffnete Jasmin ihre Tasche, doch diesmal zog sie nicht ihre ausländischen Zigaretten heraus. »Ein Geschenk für dich«, sagte sie, und ihre Augen strahlten liebevoll, als sie mir ein kleines Päckchen, sorgsam eingewickelt und mit einem Band verschnürt, überreichte. »Mach es auf.«
Es enthielt eine moderne, schlicht gestaltete Uhr. »Sie zieht sich von selbst auf«, wies mich Jasmin auf die Besonderheit des Geschenks hin.
Ich legte die neue Uhr an und bildete mir ein, die Schläge ihres Herzens an meinem Handgelenk zu spüren, und dann nahm sie meine abgelegte Uhr mit dem verblichenen Zifferblatt und dem schweißstarrenden Lederarmband und befestigte sie an ihrem eigenen Handgelenk. »Ich möchte sie haben, darf ich?«
»Die alte, wozu? Wenn schon, dann suche ich dir eine neue Uhr aus, eine raffinierte und elegante Frauenuhr. Diese Uhr ist
fast zwanzig Jahre alt, mein Vater hat sie mir gekauft, bevor wir Bagdad verließen.«
»Ich möchte aber gerne deine Uhr haben.«
Ich blickte in ihre Augen, und mein Herz setzte einen Schlag aus. Ich nahm ihr Kaffeeglas und stürzte es auf den Unterteller: »Soll ich dir die Zukunft lesen, mein Herz?«
Beim Verlassen Ramles fuhren wir durch Obstgärten und Orangenhaine, die sich viele Kilometer lang erstreckten, wie endlose Waggons eines grünen Zuges. Hier und dort erhoben sich hohe Palmen, an deren Spitzen der Wind rüttelte, doch sie widerstanden seinem Peitschen, blieben fest verwurzelt auf ihrem Platz. Der frische Duft der Orangen- und Zitronenblüten überflutete uns, wir atmeten mit voller Lunge den überwältigenden Geruch der weißen Blüten ein.
Wir fuhren weiter nach Beit Dagan und von dort zum alten Hafen von Jaffa. Der Wandel der Zeit hatte ihn unberührt gelassen: Hochmastige Schleppnetzschiffe und kleine Fischerboote schaukelten auf dem blauen Wasser, und
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