Jasmin - Roman
Vollblutpferd, das ein geübter Reiter an den Zügeln hält und seinen Willen aufzwingt: »Gib mir die Flöte und sing ein Lied …« Jasmin schien eine Spur gelöster und bewegte den Kopf leicht im Takt des Liedes.
»Kennen Sie Feiruz?«, fragte Abu George.
»Ich ziehe Umm Kulthum vor.«
»Ich liebe Feiruz«, entgegnete Jasmin.
»Feiruz ist herrlich, aber kühl und zugeknöpft, Umm Kulthum ist warm und spricht das Herz an.«
»Beide sind gut«, sagte der Vater.
Als wir die Straße erreichten, auf der bis vor kurzem noch die Betonmauer gestanden hatte, die die beiden Stadtteile voneinander trennte, spannte sich Abu George an und verlangsamte die Fahrt. Wie jemand, der an die Stätten seiner Kindheit zurückkehrt, deutete er erregt auf Orte, die er kannte: »Mamilla. Hat sich sehr verändert. In der Mandatszeit gab es hier ein Geschäftszentrum, elegante Läden, keine schmutzigen Garagen … Und da ist das Pallas-Hotel. In diesem Gebäude saß der Mufti von al-Quds, wissen Sie das?«, fragte er, und seine Augen suchten die meinen im Rückspiegel. »Und da ist Terra Sancta. Jasmin, erinnerst du dich?« Sie warf einen flüchtigen Blick auf das Gebäude und verzog das Gesicht.
»Und hier ist ein neues Hotel, Die Könige«, sagte nun ich, »aber König Hussein würden wir nur im King David beherbergen«, versuchte ich zu scherzen. Niemand lächelte. Was spielst du den Touristenführer, wenn sie ihre Stadt ansehen, schalt ich mich selbst.
Wir fuhren die Azastraße weiter. Von meinem Platz hinter dem Fahrersitz aus beobachtete ich Jasmin. Ihre Augen waren starr auf einen fernen Punkt zwischen Straße und Horizont geheftet. Erinnerte sie sich denn nicht? Sie waren schließlich aus ihrem Haus geflohen, als sie acht oder neun war, und aus diesem Alter hat man ziemlich viele Erinnerungen. Ich war als Zwölfjähriger nach
Israel gekommen, und Bagdad war für immer in meinem Gedächtnis eingraviert.
Am Ende der Herzogstraße sagte ich: »Links befindet sich ein Einwandererviertel, Gonen, hier wohnen meine Eltern.«
»Das heißt Katamon«, sagte Abu George.
»Und das hier ist Kiriat Jovel«, ich deutete auf die Immigrantenviertel.
»Das heißt Beit Mazmil, sieht wie lauter Würfel aus.«
»Und das ist Manahat.«
»Al-Malha!«, sagte er. Die alten Namen in seinem Mund hatten ein anderes Aroma. Er fuhr langsamer und blickte sich um. »Ihr habt gebaut und gebaut, ja Allah, nichts ist mehr so, wie es war.«
Der Torwächter des Jugenddorfs empfing uns mit einer leichten Verbeugung, was bei Israelis nicht üblich ist. »Der Direktor erwartet Sie«, sagte er mit einem heftigen ungarischen Akzent und deutete auf das Büro.
Eine gepflegte junge Frau eilte auf uns zu. »Sie sind sicher Jasmin«, sprudelte sie auf Französisch los, mit einem gewinnenden Lächeln. »Willkommen. Mein Name ist Michelle, ich bin die Psychologin des Dorfes, ich habe auch an der Sorbonne studiert …«
»Schalom, Michelle, ich bin Nuri.« Ich reichte ihr die Hand. »Darf ich vorstellen, Herr Hilmi, Jasmins Vater.«
»Oh, entschuldigen Sie meine Unhöflichkeit, aber ich war so furchtbar neugierig, die neue Praktikantin kennenzulernen«, lachte sie und drückte uns die Hände.
»Willkommen«, empfing uns Herr Lischinsky, der Direktor des Jugenddorfs, und bat uns, Platz zu nehmen. Die Sekretärin kümmerte sich um die Bewirtung. Lischinsky, bebrillt und dünn, schenkte Jasmin einen langen Blick und stellte ihr eine Reihe Fragen - wo sie studiert habe, für welchen Abschluss, ob sie ihre Pflichtsemester absolviert und welche Noten sie habe. Jasmin schwieg. Abu George senkte den Kopf, steckte seine Hand in die Tasche und zog die Gebetskette heraus, besann sich und schob
sie wieder zurück. Wir alle blickten Jasmin an, die keinen Ton von sich gab. Schließlich legte sie den Schal ab, enthüllte eine Granatsteinkette um ihren langen Hals, öffnete mit gemessenen Bewegungen ihre Aktentasche, holte ein Päckchen Dokumente heraus und legte es auf den Tisch.
Michelle nahm die Papiere zur Hand. »Herr Lischinsky, sie hat mit Bestnoten abgeschlossen. Ihre Noten sind besser als meine … und sie hat bei den gleichen Professoren studiert. C’est magnifique, extraordinaire«, schloss sie in Französisch. Sie hatte etwas Umwerfendes, diese Michelle. Die Unbefangenheit, mit der sie mit Jasmin umging, die Art, wie sie sie berührte, als wären sie alte Bekannte, und vor allem dieses große, warme Lächeln. Jasmins Blick glitt ziellos durchs Zimmer, doch ihre
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