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Jasmin - Roman

Titel: Jasmin - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C. Bertelsmann
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galoppierte ihnen hinterher.

    In dieser Nacht teilte uns der »Bergkönig«, der Kommandant, mit, dass es keine Ablösung wie geplant geben würde, sondern dass wir noch zwei Wochen blieben. Ich freute mich. Ich liebte diesen Ort, die Ruhe, den Ausblick, den mir Professor Schadmi eröffnete, und natürlich Ghadir, das wilde Fohlen hinter dem Zaun.
    Am nächsten Tag stand ich spät auf. Ich habe sie verpasst, sagte ich mir und eilte zur Westseite des Berges.
    »Du hast dich verspätet heute früh.«
    »Ich hatte einen schönen Traum.«
    »Und ich hatte einen bösen Traum. Sie wollen mich mit einem Vetter aus Amman verheiraten. Er hat Pickel im Gesicht, und ich liebe ihn nicht.«
    »Willige nicht ein.«
    »Ich bin ein arabisches Mädchen, keine Biene, die Honig saugt, wie es ihr gefällt. Meine Mutter versteht, sagt, dass es besser ist, wenn ein Mädchen einen Jungen heiratet, den es will, aber wenn mein Vater so etwas nur hört, ist im ganzen Haus die Hölle los. Wer kann etwas gegen ihn sagen?« Sie pflückte eine Blume, näherte sie ihrer Nase und warf sie über den Zaun. Danach erzählte sie von ihrer Familie, einer Flüchtlingsfamilie, die aus ihrem Haus in Jaffa zu den Hängen des Har Hazofim geflohen war und sich dort ein Zelt aufgestellt hatte. Zum ersten Mal sah ich einen Flüchtling von 1948.
    Am letzten Tag meines Dienstes auf dem Berg sagte ich zu ihr, dass ich meine Aufgabe beendet hätte, und gab ihr meinen bunten Seidenschal, »ein Geschenk von mir«. Sie hielt ihn in beiden Händen, schnüffelte und rieb ihr Gesicht daran, und dann warf sie ihn mir mit einer entschlossenen Bewegung wieder zu: »Willst du, dass sie mich umbringen?«
    »Gott bewahre!«
    »Guter Soldat, möge Allah dich behüten und dir von seiner Güte schenken«, verabschiedete sie sich von mir und jagte die Hänge hinunter.

    Ich winkte ihr nach und warf den Seidenschal, der für sie bestimmt war, über den Zaun, vielleicht würde sie ihn eines Tages finden. Als ich nach unten schaute, war sie schon verschwunden. Lange Zeit stand ich dort, betroffen und verwirrt von dem, was zwischen uns gewesen oder nicht gewesen war.
     
    Ich wusste, dass der Har Hazofim im Krieg umzingelt und schwer beschossen worden war, doch als Träumer wiegte ich mich in der Hoffnung, dass ich Ghadir an seinen Hängen wiederfinden würde, die Herde hütend wie damals, mit ihrem Kopftuch oder dem weißen Strohhut, vielleicht sogar mit meinem Seidenschal, den ich ihr damals zurückließ. Ich fragte mich, was heute, nach neun Jahren, aus ihr geworden sein mochte und wie sie wohl aussah.
    An einem schönen Sommertag gegen Abend brach ich auf, um sie zu suchen. Ich ging am Hotel Ambassador vorbei, dem Quartier der Militärregierung, bog am Mount-Scopus-Hotel ab, das seit dem Krieg keine Touristen und Gäste mehr beherbergte, passierte die Naschaschibigasse, in der Abu George und Jasmin zu Hause waren, und ging weiter in Richtung des Berges, der nicht mehr weit von dort war. Legionen gelber Disteln versperrten mir den Weg - langstielig mit dreisten Armen, scharffingrig, mit hässlich spinnenartigen Gesichtern. Ein Ostwind blies von der Wüste herauf, peitschte mir ins Gesicht, Trockenheit kratzte im Hals.
    Eine Weile stand ich vor der Distelmauer. Vielleicht hatte ich mich getäuscht. Ich umging das Feld, und über die alte Zufahrtsstraße gelangte ich schweißtriefend auf den Berg: Der Eingang zu unserem ehemaligen Lager war geschleift, so wie die Betonmauer zwischen den beiden Teilen der Stadt, Bulldozer und Traktoren waren dort im Einsatz und wirbelten Staubwolken auf. Ich kletterte auf einen der Felsen und spähte nach Osten, versuchte den Hirtenpfad Ghadirs zu rekonstruieren. Vielleicht war sie längst mit dem Pickelgesicht verheiratet, den sie nicht liebte, und nach Amman übergesiedelt, sagte ich mir und kehrte unverrichteter Dinge zurück.

    Eines Abends jedoch, durch puren Zufall, fand sie mich. Ich streifte nicht weit von der Villa des Senators Antoine grübelnd umher und versuchte zu verstehen, was mir bei der Abfassung des letzten Memorandums für meinen Minister so im Weg stand: War es das Hebräisch, das sich mir nicht fügen wollte, oder waren die Fakten vielleicht zu kompliziert für eine knappe Schilderung? Eine Frau, bedeckt von Kopf bis Fuß, blieb einen Augenblick stehen.
    »Nuri?«, fragte sie zögernd.
    »Ghadir!« Ich konnte es kaum glauben.
    »Allah möge dir wohlgesonnen sein! Licht und Wasser, Bach und Feuer«, lächelte sie. »Ich habe mir

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