Jasmin - Roman
zu entdecken, die Geld brauchten. Nachdem er sich mit ihnen bekannt gemacht hatte, fing er eine Unterhaltung mit ihnen an, erzählte ihnen von sich und seinen Geschäften, dem großen Basar in Teheran und würzte das Ganze mit persönlichen Geschichten und amüsanten Anekdoten. Sie dankten es ihm mit gleicher Münze, und so erfuhr er eine Menge über sie und wusste bald, wen er womit ködern konnte und bei wem er eine schwere Stunde abwarten musste. Auf diese Weise gelang es ihm, zwei Agenten ausfindig zu machen, für kleinere Aufgaben zwar, aber es war ein ermutigender Anfang.
Zu den Leuten, die der Kellner an seinen Tisch brachte, zählte ein Schiite irakischer Abstammung aus Chorramschahr, ein überaus gepflegter, herausgeputzter Mann um die vierzig, der behauptete, Beziehungen in Basra und Verwandte in Bagdad zu haben. Dieser Mann mit Namen Schahin Pur pflegte sich hin und wieder über die Grenze zu stehlen und war auch im Schmuggelgeschäft involviert: Tee und Schmuck von dort, Teppiche und andere Güter von allem, was hier zu Verfügung stand. Es stellte sich heraus, dass er ein Spieler war, er träumte sogar davon, nach Las Vegas zu fahren und im Kasino mit den ganz Großen Backgammon zu spielen. »Hier, in Chorramschahr, habe ich keine würdigen Konkurrenten«, pflegte er zu sagen. Kabi gab sich als mittelmäßiger Spieler aus, obwohl er die Geheimnisse des Spiels schon seit seiner Kindheit kannte.
Seine Beziehungen zu Schahin Pur wurden enger, und mit seiner Hilfe erweiterte Kabi seinen Aktionsradius und etablierte ein Schmugglernetz von Bagdad bis zum Schatt al-Arab, mittels dessen
von Zeit zu Zeit ein Koffer voller »Datteln« in seine Hände gelangte und andere Köstlichkeiten, die Spione liebten.
Eines Tages erzählte ihm Schahin Pur, dass er zufällig einen Verwandten getroffen habe, der den hohen Posten des Gefängnisdirektors von Nugrat Salman erreicht hatte. Kabi traute seinen Ohren nicht. Das war das Gefängnis, in dem Chizkel gefangen saß! Er atmete tief durch und hoffte, dass Schin Pur die Erregung, die ihn ergriff, nicht bemerkt hatte.
Entgegen jeder professionellen Erwägung, allerdings nicht ohne die Vorsicht, die ihm zur zweiten Natur geworden war, fühlte sich Kabi gedrängt herauszufinden, was aus seinem Onkel Chizkel geworden war.
15.
BACH UND LICHT: GHADIR
Fast jeden Morgen wanderten meine Augen auf meinem Weg zum Büro in Scheich Dscharrah unwillkürlich nach Osten, zum Har Hazofim, begleiteten die Sonne, die auf den der Wüste zugewandten Bergrücken kletterte, und ein unschuldiges Mädchengesicht stieg in meiner Erinnerung auf: Ghadir. Was wohl aus ihr geworden war? Ob sie noch da lebte? Ob sie sich wohl an mich erinnerte, an den Jungen, der dort vor neun Jahren als Soldat stationiert gewesen war?
Ich hatte sie auf dem Berg getroffen, als ich dort zum ersten Mal erwachte, in der Morgendämmerung, mit den aufsteigenden Lichtstrahlen, die die Jerusalemer Berge polierten. Jenseits des Stacheldrahts, der unsere Enklave im Ostteil der Stadt umgab, tauchte plötzlich eine Schäferin mit ihrer Herde auf, mit elastisch federndem Gang wie dem eines wilden Fohlens, und das lange Kleid, das sie trug, flatterte im Morgenwind. Geheimnisvoll und rätselhaft bezauberte sie mich von Weitem. Als ich mich dem Zaun näherte, stand sie auf der anderen Seite.
Ein junges Mädchen, das Gesicht weizenfarben und einen Schönheitsfleck auf der Wange, stand mir gegenüber, starrte mich scheu, aber neugierig an. Wir betrachteten einander schweigend. Die Herde verharrte neben uns, etwa zwanzig Schafe und Ziegen. Eine Ziege nieste unaufhörlich in dem herzbewegenden Versuch, etwas zu sagen, das ich nicht verstand.
Am nächsten Tag, als ich meinen Posten am Eingang zur Enklave bezogen hatte, sah ich sie zur gleichen Zeit. Sie näherte sich mir mit einem großen Weidenkorb auf dem Kopf.
»Für euch«, sagte sie und lachte, deutete auf die grünen Zwiebeln, die Minze, Petersilie und das übrige Gemüse im Korb.
Am dritten Morgen kam sie mit einem weißen Strohhut auf ihrem Kopftuch.
»Sabah al-cheir, guten Morgen«, begrüßte ich sie.
»Sabah an-nur, einen wunderschönen Morgen, woher kannst du Arabisch?«
»Ana ibn arab, ich bin ein Araber, aus Bagdad!«
»Was machst du hier bei den Juden? Bist du ein Spion?« Und sie nahm ihren Hirtenstab auf, als hätte sie die Absicht wegzugehen.
Ich antwortete ihr, dass ich Jude sei, in Bagdad geboren, und Nuri heiße.
»Ein arabischer Name! Nuri ist
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