Jasmin - Roman
stets vortrug.
Der Minister träumte jetzt von einer Besiedlung der besetzten Gebiete wie zur Mandatszeit und von Dingen wie: »Unsere Vettern werden bei uns arbeiten, ihr Lebensunterhalt wird reichlich vorhanden sein, und ganz allmählich werden sie unsere Anwesenheit in den Gebieten als Segen sehen und sich daran gewöhnen, so wie sie sich daran gewöhnt haben, dass Jaffa, Ramle, Aschkelon und Akko uns gehören.«
»Sie haben andere Träume«, dämpfte ich seine Begeisterung.
»Sind Sie der Meinung, dass sie ihr Leben für eine Ideologie opfern werden, so wie wir?«
»Das tun sie schon seit über fünfundsiebzig Jahren.«
Er hörte mir nicht mehr zu, mein Minister. Er war zwar ein Vater, der sein Kind verloren hatte, doch er hatte die Gefahren von 1948 vergessen, die Ängste des Wartens vor dem 67er-Krieg. Ich konnte mich noch an sein graues Gesicht, seine erloschenen Augen erinnern, als er mir erzählte, dass Levanas Bruder gefallen war. »Wenn nur endlich Frieden wäre«, hatte er damals in einer Art Stoßgebet gesagt. Noch jetzt erschienen in der Zeitung die Bilder der Gefallenen am Suezkanal, doch er blieb bei seinem Standpunkt.
Mein Numi-Basra-Tee kochte schon, lief über, doch ich sah nur zu und reagierte nicht. Die Herdflamme erlosch.
Ich brach zu meinem Morgenmarsch auf. Es war kühl draußen, der Herbstgeruch behagte mir. Gelbliches Licht blinzelte aus
dem Fenster eines benachbarten Hauses. Ein trunkenes Auto schwankte auf der Straße, die Scheinwerfer ließen Schatten tanzen. Ich hielt mich an den Bürgersteig, meine Augen auf den Weg gerichtet, und meine Hände ruderten energisch vorwärts. Als ich zurückkam, fand ich die Ha’arez noch nicht in meinem Briefkasten. Diese Austräger strengten sich nicht mehr an wie ich, ein Knabe aus dem Immigrantenauffanglager der vorigen Generation. Als ich den Kibbuz verließ und allein nach Jerusalem ging, trug ich Zeitungen aus. Es war nicht einfach, diese Arbeit zu bekommen, und es war auch nicht leicht, sie zu behalten, mein Vorgänger hatte einen einzigen Morgen gefehlt und war sofort entlassen worden.
Keuchend und schwitzend von dem schnellen Marsch, stieg ich die Treppe hinauf, stand vor meiner Wohnung und drückte auf die Klingel. Manchmal träume ich, dass mich jemand drinnen erwartete, dass man mir mit einem warmen Lächeln die Tür öffnete, mich umarmte und die Ängste und Nöte meiner Seele schmelzen ließe. Warum heiratete ich nicht? Von meinem ganzen Jahrgang waren nur Sultan und ich übrig geblieben - er war mit seiner Doktorarbeit beschäftigt, und ich, womit?
Ich kam früher als sonst ins Büro, und schon um sieben durchstöberte ich den Eingangskorb der Post, in dem Papierstapel auf mich warteten: diverse Briefe, Einladungen zu Veranstaltungen, Berichte selbsternannter Experten, Hilfeersuchen. Zuerst las ich die Briefe der Kategorie »Persönlich«, einen kleinen Teil davon legte ich in den Safe, und die, die nur die Sache oder den Absender rühmen sollten, legte ich in die Ablage. Die Veranstaltungsumschläge warf ich in den Mülleimer. Seit meiner Berufung auf den Posten erhielt ich Einladungen zu jeder Zeremonie, Premiere und Ausstellungseröffnung, so eine Art Vorzugsbehandlung. Anfangs schmeichelten mir die Einladungen, und ich ging hin, bis ich entdeckte, dass die Leute kamen, um zu sehen und gesehen zu werden und, wenn man ehrlich war, um sich in Gesellschaft zu langweilen.
Dann öffnete ich die restlichen Briefe und breitete sie nebeneinander auf dem Tisch aus wie ein Händler im Basar. Ich überflog die Überschriften und legte die »gelehrten Berichte« beiseite: Frustrierte Historiker, Experten und Konsorten tummelten sich im Staatsdienst. Wenn ich nicht gewusst hätte, dass der Minister Berichte liebte, hätte ich es vermieden, überhaupt welche zu schreiben. Von meinem Standpunkt aus genügten nackte Fakten, Zahlen und Daten, die waren von grundsätzlicher Bedeutung. Die Zeit ließ schließlich auch die fundiertesten Einschätzungen in den Mülleimer wandern.
Am Schluss konzentrierte ich mich auf das, was mich wirklich interessierte, auf die persönlichen Briefe, Bitten und Beschwerden, die von einfachen Leuten kamen, von der arabischen Bevölkerung natürlich. Die Handschriften waren manchmal schwer zu entziffern. Ein Teil schrieb verstümmeltes Hebräisch, andere befleißigten sich einer verschnörkelten, blumig phrasenhaften Sprache in bester Tradition des Arabischen, und zum Teil begannen sie mit klebrigen
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