Jasmin - Roman
Schmeicheleien. Zwischen den Zeilen war erkennbar, dass sie mit uns gemäß dem Sprichwort verfuhren: »Küsse die Hand, die du nicht beißen kannst, und hoffe, dass sie zerbricht.« Viele Klagen betrafen die Verhinderung von Familienzusammenführungen, die Verzögerung von Genehmigungen, Ansprüche auf Boden und Gebäude. Leider war ich kein Experte für Bürgerrecht, Grundstücks- oder Emigrationsgesetze, für die Rechte der Abwesenden. Ich musste mich so bald wie möglich in diesen Bereichen weiterbilden.
Ein Brief mit winziger Schrift fing meinen Blick ein. Die Schreiberin war eine Witwe, die ihren Sohn suchte, der seit Ende der Kämpfe verschwunden war. Ich legte den Brief zu den anderen, deren Absender ich zu einer persönlichen Unterredung einladen würde, um zu sehen, was getan werden konnte. Ich wollte gemeinsam mit ihnen einen Weg finden, um bei etwas Konkretem zu helfen, es war mir auch wichtig, ihnen die Möglichkeit zu geben, Menschen in uns zu sehen. Früher waren wir die Opfer
der Gojim, jetzt liefen wir Gefahr, uns selbst zum Opfer zu fallen. Unter den letzten Briefen fand ich einen liebenswürdigen Zettel von Abu George, der mich bat, mit ihm Verbindung aufzunehmen.
Ich wusste, dass Alisa, meine Sekretärin, nicht vor acht Uhr eintreffen würde, also hatte ich Zeit, die Füße auf den Tisch zu legen, mich vom Druck des Handelns zu lösen und die Gedanken treiben zu lassen. Meine Aufgabe verpflichtete mich dazu, die Vorgaben der Politik meines Ministers zu erfüllen, und der Gehorsam einem großen Vater gegenüber, der wusste, was man tun musste, hatte etwas Bequemes. Das Problem war, dass ich des Öfteren dachte, er irre sich, und auch ich selbst musste mir behutsam einen Weg ertasten und war nicht frei von Irrtümern. Mich brachte seine überhebliche Einstellung zur arabischen Bevölkerung auf, ich distanzierte mich auch von den pathetischen Höhenflügen auf den Schwingen einer phantastischen Vision aus der Verweigerung der Realität heraus. Ich war nicht gewillt, die Araber als »unsere Vettern, die bei uns arbeiten werden« zu sehen, als geringere Menschen als wir, deren Existenz der Ideologie und Träume ermangelte. Ich wollte dieser Bevölkerung nach der Eroberung helfen, als seien sie Neueinwanderer, Menschen, die in Zukunft ein ganzes Leben lang unsere Nachbarn sein würden. Der Ostteil der Stadt war eine neue Schmiede, auch für die, die dort geboren waren, wie Herr Haramati vom Innenministerium und Herr Charisch vom Religionsministerium, ganz zu schweigen von mir, dem Jüngsten in dem Kreis, und diese Tatsache verpflichtete mich zu doppelter Vorsicht. Bisher war es mir gelungen, das, was von mir erwartet wurde, auf meine Art zu tun, doch was würde noch kommen, wohin würden wir gelangen, wenn ich nicht in der mir vorgegebenen Spur bleiben konnte?
Statt Vorschriften zu diktieren, suchte ich einen Weg, Beziehungen zu knüpfen, die auf gegenseitigem Vertrauen basierten, über die lokale Führung und mit ihrer Beteiligung zu agieren. Ich investierte nicht wenig Zeit und Energie, um die alteingesessenen
und bedeutenden muslimischen Familien kennenzulernen, hatte mich über ihre Geschichte aus den Aufzeichnungen der Schari’a-Gerichtshöfe kundig gemacht. Meinen Gesprächspartnern gefiel die Tatsache, dass ich etwas von ihnen und ihren Sippen wusste, sie wurden mir gegenüber dadurch aufgeschlossener. Danach suchte ich die Bekanntschaft christlicher Familien, und ich erfuhr, wer aus der Nähe stammte, wer schon seit jeher hier ansässig war, wer ein reinblütiger Jerusalemer und wer ein Hebroner war. Ein Teil von ihnen hatte jüdische Bekannte aus den Tagen der Mandatszeit, die ihnen halfen, sich in unserem bürokratischen Dickicht zurechtzufinden, und auch ich scheute keine Mühe, ihnen ebenso wie den einfachen Leuten behilflich zu sein, ein Vermittler zu sein, in ihrem Namen zu sprechen und zuzuhören, zu verstehen, ihre Frustration nachzuempfinden und zu hoffen, dass wir zusammenleben könnten. Doch das Aufbauen von Vertrauen ist eine heikle Sache, die Wissen und Sublimierung erfordert, und in dieser Hinsicht war der Weg noch weit, wie der Dichter sagt.
Alisa traf Punkt acht Uhr ein, und nachdem wir festgelegt hatten, worum sie sich heute kümmern sollte, machte ich mich auf den Weg zum Jaffa, anstatt Abu George anzurufen. Vielleicht würde auch Jasmin da sein. Er befand sich schon mitten in seinem Arbeitstag, war damit beschäftigt, seinen Bediensteten Anweisungen zu erteilen.
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