Jay: Explosive Wahrheit (German Edition)
kommen können. Sie selbst galt als Schwester und Lucs Status befand sich irgendwo zwischen sehr engem Freund und ebenfalls Familienangehörigen. Damit wäre die Bezeichnung ›Besucher‹ nach afghanischen Verhältnissen eine Beleidigung.
Mühsam schraubte sich der Geländewagen über den Pfad mit den engen Kurven weiter in die Höhe, dann lag das Dorf vor ihnen. Als sie eines der ersten Häuser passierten, fasste Luc nach ihrer Hand und drückte sie fest.
Auch sie hatte mit der Erinnerung zu kämpfen und schluckte hart. Dort hatte sie um Lucs Leben gekämpft und ihn später kennen und lieben gelernt. Niemals hätte sie bei ihrer ersten Begegnung erwartet, dass sie sich nicht nur ihn verlieben würde, sondern es ihm auch gelingen würde, die amerikanische Regierung von der Jagd nach ihr abzubringen. Aber er hatte die verbrecherischen Machenschaften ihres ehemaligen Vorgesetzten aufgedeckt und ihr die Rückkehr in ihr Heimatland ermöglicht. Außerdem akzeptierte er ihre Verbundenheit mit ihrer afghanischen Familie.
Einige Dorfbewohner winkten ihnen zu, andere beschränkten sich auf ein beiläufiges Nicken zur Begrüßung. Nachdem sie das letzte Haus etliche Meter hinter sich gelassen hatten, musste Luc den Wagen nach einigen engen Kurven abstellen.
Er musterte den steilen Hügel vor ihnen. »Beladen schafft der Wagen das nicht. Der rutscht weg. Tut mir leid, Jamila. Wir müssen zu Fuß weiter, wenn wir wissen wollen, was sich dort oben abspielt.«
Die Sonne brannte heiß auf sie herab und ein leichter Staubfilm lag in der Luft. Sie hustete, um ihre Kehle freizubekommen und nahm bereitwillig die Flasche Wasser entgegen, die Luc ihr schon hinhielt. Nachdem sie sich ihr Halstuch schützend über Nase und Mund gezogen hatte, lief sie los und drehte sich nach wenigen Metern um.
»Wartest du auf ein Taxi, Soldat?«
Lächelnd schüttelte Luc den Kopf. Im Gegensatz zu ihr nahm er sich noch die Zeit, sich einen Rucksack und sein Gewehr über die Schulter zu werfen.
Trotz des zusätzlichen Gewichts war ihr Vorsprung nicht von langer Dauer. Seite an Seite arbeiteten sie sich über das lockere Geröll nach oben. Als sie ins Rutschen geriet, war sofort Lucs Hand da, um ihr Halt zu geben. Dankbar lächelte sie ihn an und ignorierte seinen warnenden Blick. Wenn man alleine in den Bergen unterwegs war, konnte jede kleine Unachtsamkeit fatale Folgen haben. Aber sie war nicht länger alleine.
Durch den steilen Anstieg hatten sie keine Möglichkeit zu sehen, was sich vor ihnen auf dem Plateau befand. So war es nicht verwunderlich, dass Luc ihr kurz vor dem Ziel eine Hand auf die Schulter legte.
»Warte, bis ich dir ein Zeichen gebe, dass alles in Ordnung ist.«
Ihre gebrummte Zustimmung musste ihm reichen. Eine Diskussion würde nichts bringen, aber beim geringsten Anzeichen von Gefahr wäre sie an seiner Seite, um ihm zu helfen. Sie sah ihm nach, als er die letzten Meter mit dem Gewehr im Anschlag zurücklegte und dann aus ihrem Sichtfeld verschwand.
Nach Kalils Begrüßung war es so gut wie ausgeschlossen, dass ihnen hier oben, im direkten Einflussgebiet der Kazim-Brüder eine unangenehme Überraschung drohte, aber Luc war nicht bereit, ein Risiko einzugehen, solange Jasmin in der Nähe war.
Im Schutz eines Felsens betrat er das Plateau und ließ sein Gewehr sinken. Mit allem hatte er gerechnet, aber damit nicht. Ein Hubschrauber mit den Kennzeichen der US Army parkte inmitten der sandigen Ebene. Deutsche Soldaten brachten gemeinsam mit einigen von Hamids Leuten flache Kisten aus dem Laderaum ins Freie.
Bisher hatte ihn niemand bemerkt, was die ideale Voraussetzung für eine nette Begrüßung war.
Zwei Männer hielten sich von den schweren Arbeiten fern und unterhielten sich stattdessen angeregt in Höhe des Cockpits. Sie nutzten den wenigen Schatten, der Schutz vor der glühenden Hitze bot, und hatten sich dicht an die metallische Außenhaut des Hubschraubers gestellt. Wenn sie sich weiterhin so auf ihr Gespräch konzentrierten, würden sie ihn erst bemerken, wenn es zu spät war. Offen näherte er sich dem Hubschrauber, und ein blonder, deutscher Soldat bemerkte ihn als erster. Mit einigen Handsignalen, die jeder Angehörige einer Spezialeinheit kannte, übermittelte ihm Luc sein geplantes Vorgehen und wartete, bis Mike ihm sein Einverständnis signalisiert hatte. Mike war stellvertretender Teamchef beim KSK – dem deutschen Kommando Spezialkräfte – und im Moment anscheinend nicht besonders glücklich darüber,
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