Jay: Explosive Wahrheit (German Edition)
auf der Bettkante und sah ihn an, ihre Miene konnte er nicht interpretieren. Er kniete sich vor ihr hin und wollte nach ihren Händen greifen. Stattdessen stürzte sie sich auf ihn und klammerte sich an ihn. Er wusste nicht, wer von ihnen stärker zitterte, er brauchte den engen Körperkontakt genauso wie sie. Als sie anfing, leise zu weinen, streichelte er ihr über den Rücken, bis sie sich beruhigte. Als ihr Schluchzen verstummte, hatte auch er seine Fassung wiedergefunden. Sichtlich verlegen löste sie sich von ihm und als sie den Mund öffnete, wusste er, was folgen würde.
»Wenn du dich jetzt dafür entschuldigst, bekommst du ernsthaften Ärger mit mir.«
Ihr Mund klappte wieder zu.
»Brav, und nun versprich mir, so etwas nie wieder zu tun. Ich wäre vor Angst um dich fast gestorben.«
Das Funkeln kehrte in ihre Augen zurück. Aber er gab ihr keine Gelegenheit zu einer Erwiderung, sondern legte ihr sanft eine Hand auf die Schulter. »Ich sehe mich schnell um, ob es noch mehr von den Dingern gibt. Du rufst die Spurensicherung an.«
»Das Ding kam aus Pakistan? Wieso kennst du dich mit so einem Mist aus?«
»Reiner Zufall. Aber Pakistan passt perfekt zu Alvarez. Ich freue mich schon darauf, ihn aus dem Verkehr zu ziehen, und wenn ich dafür persönlich nach Mexiko fliegen muss, werde ich genau das tun.«
»Ich komme mit!«
Darauf hatte er gehofft. Sie war zwar angeschlagen, und es würde dauern, bis sie sich von diesem Tag erholt hatte, aber ihr Kampfgeist war ungebrochen.
14
Die Dunkelheit auf der Terrasse von Lucs Strandhaus wurde nur von einem flackernden Windlicht durchbrochen. Die Sterne funkelten wie Diamanten über der glatten Oberfläche des Pazifiks. Elizabeth hatte sich trotz der warmen Temperaturen eine Decke um die Schultern gelegt und blickte in die Nacht hinaus. Bisher hatte sie mit Jay nur das Nötigste gesprochen und auch auf Fragen verzichtet. Überraschend bereitwillig hatte sie sich an Jasmins Kleiderschrank bedient und nur auffallend lange Zeit unter der Dusche verbracht.
»Die Pizza kommt jeden Moment. Es dauert immer etwas, bis der Bote den Weg hierher findet.«
Elizabeths Nicken war in der Dunkelheit kaum zu sehen. Jay stellte eine Flasche Wein und zwei Gläser auf den Tisch.
Als sie nach dem Glas griff, zitterte ihre Hand leicht. Da Elizabeth keinen Stuhl, sondern eine der beiden Liegen gewählt hatte, setzte sich Jay direkt neben sie und legte ihr einen Arm um die Schulter.
»Du hast jedes Recht der Welt, Angst zu haben. Erst die Explosion, dann die Schießerei und jetzt auch noch die Sache mit der Tretmine. Aber denk immer daran, was Steven zu dir gesagt hat. Es kommt nur darauf an, dass du während der Gefahr die Nerven behalten hast. Hinterher darfst du alles tun, um den Druck loszuwerden.«
Elizabeth wehrte sich nicht gegen die lockere Umarmung, sagte aber immer noch kein Wort. Ein schrilles Piepen ließ sie zusammenzucken.
Rasch nahm Jay den Tablet-PC vom Tisch. »Das ist nur der Pizzabote, der oben auf den Sandweg eingebogen ist. Ich bin sofort wieder da.«
Als er mit dem flachen Karton zurückkehrte, hatte Elizabeth ihr Glas Wein ausgetrunken und sah ihm entgegen. »Eigentlich dachte ich, ich bekäme keinen Bissen runter, aber die Pizza riecht gut.«
»Nicht nur das, sie schmeckt auch so gut, wie sie riecht, und du musst etwas essen.«
»Ich weiß, aber es ist nicht ganz einfach.«
»Als ich das erste Mal scharf schießen musste, habe ich danach die ganze Nacht kein Auge zugetan. Mein Bruder war da und hat mir immer wieder das Whiskyglas gefüllt und mir am Morgen danach das Aspirin hingestellt.«
»Welcher Bruder war das?«
»Luc.«
»Unser unbekannter Gastgeber.«
»Genau der. Wie geht es dir?«
»In meinem Kopf herrscht Chaos, das einfach nicht verschwinden will. Immer wieder geht mir durch den Sinn, wie knapp es war. Ich hatte solche Angst, aber nicht nur um mein Leben, sondern auch um dich. Ich weiß nicht, ob ich das gut finde, so viel Angst um jemanden zu haben. Das kenne ich nicht, und ich mag es nicht.«
Was sollte er dazu sagen? Ihm ging es nicht anders. Seine Mutter hatte ihm vor Jahren erzählt, dass es nichts Schöneres als die Liebe zu einem Kind gab, obwohl die Sorge um das Kind schon vor der Geburt dazugehörte. Mit einer Partnerschaft oder Ehe sah es ähnlich aus, aber eine entsprechende Bemerkung wäre in diesem Moment fehl am Platz gewesen und würde Elizabeth vermutlich nur noch weiter verunsichern.
Sie schien keinen Kommentar zu
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