J.D.SALINGER Neun Erzählungen
Zeit nach der Schule betraf, so fuhr ich am Dienstagabend mit dem Bus nach Montreal hinein und durchstand das Programm einer Zeichentrick – Festivalwoche in einem drittklassigen Kino – was im Wesentlichen bedeutete, sich anzusehen, wie eine Reihe von Katzen nacheinander von Mäusebanden mit Sektkorken bombardiert wurden. Am Mittwochabend stapelte ich die drei Sitzkissen in meinem Zimmer aufeinander und bemühte mich, aus der Erinnerung Schwester Irmas Bild von Christi Begräbnis zu zeichnen.
Ich bin versucht zu sagen, dass der Donnerstagabend eigenartig war, vielleicht gar makaber, Tatsache ist aber, dass ich für Donnerstagabend keine den Ansprüchen genügenden Adjektive parat habe. Ich verließ Les Amis nach dem Abendessen und ging ich weiß nicht wohin – vielleicht ins Kino, vielleicht auch nur auf einen langen Spaziergang; ich weiß es nicht mehr, und ausgerechnet hier lässt mich auch mein Tagebuch von 1940 im Stich, denn die Seite, die ich benötige, ist vollkommen leer.
Immerhin weiß ich, warum die Seite leer ist. Als ich zurückkam, von wo auch immer ich den Abend verbracht hatte – und ich weiß, dass es da schon dunkel war – , blieb ich vor der Schule auf dem Trottoir stehen und schaute in das erleuchtete Schaufenster des Sanitätsgeschäfts. Dann g eschah etwas absolut Grauenhaftes. Mir drängte sich der Gedanke auf, dass egal, wie gelassen, vernünftig oder schicklich ich eines Tages lernen würde, mein Leben zu führen, ich doch bestenfalls ein Besucher in einem Garten mit Emailurinalen und Bettpfannen wäre, und die blicklose hölzerne Schaufenstergottheit mit einem reduzierten Bruchband stünde daneben. Dieser Gedanke dürfte jedenfalls nicht länger als wenige Sekunden zu ertragen gewesen sein. Ich weiß noch, wie ich auf mein Zimmer floh, mich auszog und ins Bett legte, ohne mein Tagebuch auch nur zu öffnen, ganz zu schweigen davon, einen Eintrag zu machen.
Stundenlang lag ich zitternd wach. Ich horchte auf das Stöhnen aus dem Nachbarzimmer, und ich dachte eindringlich an meine Star - Schülerin. Ich versuchte, mir den Tag, an dem ich sie in ihrem Kloster besuchte, bildlich vorzustellen. Ich sah sie, wie sie mir entgegenkam – an einem hohen Drahtzaun ein schüchternes, schönes Mädchen von achtzehn Jahren, das noch nicht ihr endgültiges Gelübde abgelegt hatte und daher frei war, mit dem Mann ihrer Wahl, einem Peter - Abaelard - Typen, in die Welt hinauszugehen. Ich sah uns langsam, schweigend zu einem abgeschiedenen, grünen Teil des Klostergeländes gehen, wo ich ihr dann plötzlich und ohne Sünde den Arm um die Taille legte. Das Bild war zu ekstatisch, um es zu bewahren, daher ließ ich es schließlich fahren und schlief ein.
Am Freitag verbrachte ich den ganzen Vormittag und einen Großteil des Nachmittags hart arbeitend bei dem Versuch, aus einem Wald von Phallussymbolen, die der Mann aus Bangor, Maine, auf teures Leinenpapier gezeichnet hatte, mit aufgelegtem Pauspapier erkennbare Bäume zu m achen. Geistig, seelisch und körperlich war ich schon gegen halb fünf ziemlich fertig, und als M. Yoshoto kurz zu mir an den Schreibtisch kam, erhob ich mich nur halb. Er reichte mir etwas – reichte es mir so unpersönlich, wie der Durchschnittskellner Speisekarten verteilt. Es war ein Brief von der Mutter Oberin von Schwester Irmas Kloster, in dem sie M. Yoshoto mitteilte, Pater Zimmermann habe sich durch Umstände, die außerhalb seines Einflusses lägen, gezwungen gesehen, seine Entscheidung, Schwester Irma ein Studium bei Les Amis Des Vieux Maîtres zu gestatten, zu ändern. Die Absenderin schrieb, sie bedauere jedwede Unannehmlichkeiten oder Unordnung, die diese Änderung der Pläne der Schule bereiten könne, zutiefst. Sie hoffe aufrichtig, dass die erste Unterrichtsgebühr von vierzehn Dollar der Diözese zurückerstattet würde.
Die Maus, dessen bin ich mir seit Jahren sicher, humpelt vom Schauplatz des brennenden Riesenrads mit einem nagelneuen, wasserdichten Plan, die Katze umzubringen, nach Hause. Nachdem ich den Brief der Mutter Oberin endlose, lange Minuten gelesen und wiedergelesen und dann darauf gestarrt hatte, riss ich mich jäh davon los und schrieb Briefe an meine vier verbliebenen Schüler, in denen ich ihnen riet, die Vorstellung, Künstler zu werden, aufzugeben. Ich schrieb ihnen jeweils einzeln, sie besäßen keinerlei Talent, das zu entwickeln sich lohne, und dass sie nur ihre eigene kostbare Zeit sowie die der Schule verschwendeten. Alle vier
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