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Je länger, je lieber - Roman

Je länger, je lieber - Roman

Titel: Je länger, je lieber - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C. Bertelsmann
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ließ die Uferbäume erzittern. Erschrocken fuhr sie zusammen. Gleich würde ein gewaltiger Schauer über sie hereinbrechen. Eilig legte sie die Postkarten zurück in ihren Schoß, zog das Paddel hervor und ruderte quer durch das Seerosenfeld Richtung Bachlauf. Jacques Barreto! Jetzt wollte sie schnellstmöglich zurück an ihren Laptop und seinen Namen in Google eingeben.
    Wieder erschütterte ein gewaltiges Donnern den Himmel. Sie sollte hier nicht auf dem Wasser herumpaddeln, während rechts und links von ihr Blitze einschlugen. Im seichten Wasser benutzte Mimi das Ruder als Stecken, der im weichen Untergrund versank. Mit Kraft musste sie es wieder hervorziehen. Als die ersten Tropfen fielen, zerrte sie den Kahn ans Ufer und rannte über die Obstbaumwiese, unter den Apfelbäumen entlang. Inzwischen hatte sich der Himmel so verfinstert, als wäre es Abend. Vom Donner begleitet, huschte Mimi durch den Wintergarten, die Treppe hinauf. Die Karten an ihre Brust gepresst, wollte sie jetzt nicht von Margarete aufgehalten werden, die in der Küche mit den Töpfen hantierte.
    Oben im Jugendzimmer klappte Mimi ihren Laptop auf und wählte sich ins Internet ein. Hier draußen auf dem Land war der Empfang ziemlich schlecht. Es dauerte quälend lang, bis sich die Google-Seite aufgebaut hatte. Das Resultat war ernüchternd. Natürlich fand sie keinen Jacques Barreto. Nur eine Cécile Barreto. Und die betrieb ein kleines Hotel, das sich in der Nähe von Arles befand. Mimi klickte auf die Homepage des Châteaus. Ein Foto zeigte inmitten von Weinbergen ein gelb getünchtes Haus, an dessen Mauern sich malvenfarbene Bougainvillen emporrankten. In der offenen Terrassentür, die zu einem üppig bewachsenen Garten hinausführte, lehnte eine schlanke Frau im Sommerkleid, deren Gesicht kaum zu erkennen war. Mimi versuchte, das Foto zu vergrößern, was ihr nicht gelang. Aus der Beschreibung des Hotels erfuhr sie nur, dass diese Cécile Barreto das ehemalige Weingut vor zehn Jahren von ihrem Vater Pedro übernommen und es nun in ein beliebtes Hotel verwandelt hatte. Um das zu verstehen, reichte Mimis mageres Schulfranzösisch gerade noch aus.
    Entschlossen nahm sie ihr Telefon zur Hand. Sie wollte sofort bei Cécile Barreto anrufen und sie nach ihren Vorfahren befragen. Hoffentlich sprach sie Englisch. Werbetexte auf Französisch zu lesen war etwas anderes, als nach über fünfzehn Jahren auf Französisch komplexe Telefonate zu führen. Mehr als »Bonjour« fiel ihr in der Aufregung ohnehin nicht ein. Aber ihr blieb nichts anderes übrig, wollte sie sofort Licht ins Dunkel bringen. Sie holte tief Luft. Besser, sie dachte gar nicht darüber nach, was sie hier eigentlich tat: Fremde Leute mit ihren Hirngespinsten behelligen, von denen sie hoffte, dass sie echt waren – nur, um sich vom erschütternden Anblick ihres in Trümmern daliegenden Lebens abzulenken.
    Gerade als sie die Nummer eingeben wollte, klingelte ihr Handy. Auf dem Display leuchtete »René« auf. Warum ausgerechnet jetzt? Was wollte er? Mimi sprang vom Stuhl auf und starrte unentschlossen auf das blinkende Gerät in ihrer Hand. Obwohl sie beinahe vor Sehnsucht verging, seine Stimme zu hören, fürchtete sie sich gleichermaßen davor. War das der Anruf, der ihre klägliche Hoffnung zerstörte, dass alles wieder gut werden würde, wenn er nur ausreichend und glaubwürdig um Vergebung bat? War das der Anruf, mit dem er ihr einfach nur nüchtern eröffnete, dass er in den nächsten Tagen mit ihr die Aufteilung ihres Hausstandes besprechen wolle? Seit heute Morgen hatte sie darauf gehofft, dass er sich meldete. Das wurde ihr jetzt klar. Aber nun tat er es, und sie brachte es nicht fertig dranzugehen. Noch einmal blinkte das Display auf. Dann lag das Handy still in ihrer Hand.
    Um nicht weiter ihren Gedanken nachzuhängen, was in Renés Kopf vor sich ging, tippte Mimi schnell die Telefonnummer ein, die auf der Webseite des Weinguts angegeben war. Ihr Herz klopfte. Hätte sie nicht einfach mit ihrem Mann reden sollen, um zu hören, was er zu sagen hatte? Vielleicht machte er sich ja auch nur Sorgen. Vielleicht vermisste er sie. Vielleicht wollte er sie um eine Aussprache bitten? Dann sollte er hierherkommen. So schwer war es nicht, ihren Aufenthaltsort herauszufinden. Ein Anruf bei Alice würde genügen.
    Am anderen Ende der Leitung tutete es einige Male. Und mit jedem Tuten wurde der Kloß in Mimis Hals dicker. Wenn jetzt jemand an den Apparat ging, würde sie kein Wort

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