Je länger, je lieber - Roman
sie. Aber wollte sie das wirklich wissen? Was, wenn er sagte, dass er sich befreit fühlte?
»Ich vermisse dich!«
Mimi presste das Telefon ans Ohr. War das ihr Mann, der da sprach? Ließ er sich tatsächlich zu zärtlichen Gefühlsäußerungen hinreißen? Das kannte sie gar nicht von ihm. Besonders nicht, wenn er im Büro saß.
Seine Stimme war ganz nah und liebevoll. »Es tut mir leid, was ich dir angetan habe. Oder uns. Unserer Ehe. Unserer Liebe.« Beinahe klang sie etwas belegt, so, als hätte er Mühe zu atmen. »Du fehlst mir, Mimi. Komm nach Hause.«
Sie konnte nur flüstern. »Es tut so weh.«
»Ich will es wieder gutmachen. Hörst du? Ich will nicht ohne dich leben. Es ist so still bei uns, seitdem du nicht mehr da bist. Nicht dass du je laut gewesen bist. Nie ist dir ein Glas hinuntergefallen oder ein Teller. Ich meine nur, dass ich es kaum ohne dich zu Hause aushalte. Ich kann nicht ohne dich schlafen, auch wenn wir uns die letzten Jahre vielleicht nicht mehr so festgehalten haben. Aber der Abdruck deines Kopfes auf dem Kopfkissen verschwindet langsam. Ich kann nichts mehr essen, und dein Nachthemd duftet auch kaum noch nach dir. Ich schließe die Haustür auf und rufe nach dir, aber du antwortest nicht. Ich liebe dich, Mimi. Ich weiß nicht, wie ich mich so weit von uns entfernen konnte. Ich weiß es nicht. Ich kann es nicht ungeschehen machen, was ich dir angetan habe. Aber das, was ich getan habe, hat mich dennoch an unsere Liebe erinnert. Du magst dich fragen, wie ich sie je vergessen konnte. Ich … ich hab sie vielleicht als zu selbstverständlich hingenommen. Aber ich bin aufgewacht und sehe, wofür ich blind war.«
Es klopfte an der Zimmertür. Mimi starrte auf die Klinke. Es klopfte wieder. Warum ausgerechnet jetzt? Während sie René weiter zuhörte, verschwand sie leise mit dem Handy ins Badezimmer. War das da draußen Bruno? Der Mann, mit dem sie am See vor drei Nächten so unglaublich zärtlichen Sex gehabt hatte? Der Mann, dessen Lippen sie ein Leben lang hatte küssen wollen? Der Mann, dem sie vorgemacht hatte, sie sei längst über René hinweg? Wie schnell so ein Leben doch durch einandergeraten konnte. Was sollte sie tun? Wenn er es war, war er extra wegen ihr um die halbe Welt geflogen, während ihr Mann in Deutschland saß und gerade fragte: »Wo bist du? Können wir uns für ein paar Minuten sehen?« Seine Stimme wurde noch leiser. »Ich will dich nur ein kleines bisschen fühlen. Nur ein kleines bisschen riechen. Von allem nur ein kleines bisschen. Bis du mir wieder vertraust.«
»Ich …«, flüsterte Mimi, um nicht draußen im Flur gehört zu werden. »Ich bin in Kanada. Um genauer zu sein in Neuschottland.«
»Ist das eine Bar? Ein Café?« René klang alarmiert.
»Nein. Das ist eine Insel im Atlantik«, murmelte sie. Im Nebenzimmer klingelte das Haustelefon. Irgendwer wollte sie dringend sprechen. Sie konnte doch jetzt nicht drüben den Hörer abnehmen und René zur Seite legen. Sie wollte bei ihm bleiben.
»Was tust du in Neuschottland? Wann kommst du wieder zurück nach Hause?« Wie kläglich er klang.
Und auch ihre Stimme zitterte. »In ein paar Tagen.« Nebenan klingelte schon wieder das Telefon. Mimis Herz pochte. Was machte sie hier eigentlich? »Es tut mir leid. Ich … René?«
Doch weiter kam sie nicht, weil im nächsten Moment die Zimmertür aufflog und Bruno hereinkam, gefolgt vom Hotelbesitzer in seiner Jeanslatzhose. Schulter an Schulter drängten sie sich durch die angelehnte Tür ins Bad. Bruno fuhr sich aufgeregt durchs Haar, als er sie auf dem Badewannenrand sitzen sah. »Mimi, Gott! Ich dachte, dir ist etwas passiert.«
Sie lächelte hilflos. »Nein, mir geht’s gut. Ich …« Sie zeigte auf ihr Telefon, und Bruno zog sich mit einer entschuldigenden Geste zurück ins Nebenzimmer, wo er den Hotelbesitzer dankend verabschiedete.
Am anderen Ende der Leitung war es still. »René? Bist du noch dran?«
»Du bist nicht allein, stimmt’s?«
»Ich … ja … also.«
»Mach’s gut, Mimi. Meld dich, wenn du wieder da bist. Dann können wir ja mal einen Kaffee trinken gehen.«
Sie wollte Einspruch erheben, aber da hatte René schon aufgelegt, und was hätte sie auch sagen sollen, während Bruno im Nebenzimmer auf dem Bett saß und jedes Wort mithörte. Es ist nicht so, wie du denkst? Das war lächerlich.
Mimi ließ das Telefon auf dem Badewannenrand liegen und trat zu ihrem Jugendfreund hinaus, der inzwischen am Fenster stand. Bemüht, sich die
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