Je mehr ich dir gebe (German Edition)
stehen. Er hob sie hoch, sie schlang ihre Beine um ihn, ihre Arme, klammerte sich an ihn und hielt ihn ganz fest.
»Entspann dich«, hauchte Kolja, mit den Lippen an ihrer Kehle. Sie wusste gar nicht, wie ihr geschah, sie wurde einfach mitgerissen, es war wie eine Flutwelle einer ihr bis dahin unbekannten Gier; sie spürte den kalten Grabstein im Rücken und Koljas Glut in ihr. Kolja bewegte sich langsam, mit dem Mund an ihrem Ohr.
»Jonas ist da«, flüsterte er. »Spürst du ihn?«
»Ja«, flüsterte sie.
»Spürst du ihn wirklich?«
»Ja«, stieß sie hervor.
»Spürst du ihn ganz tief in dir?« Er hielt inne.
»Ja!«, rief sie und presste sich gegen ihn.
»Ist er es?«
»Ja!«
Es war, als würde Julia schmelzen, wie ein Eiswürfel, es blieb nur noch eine Pfütze von ihr übrig. Dann lagen sie im Gras und rangen nach Luft. Über ihnen flatterte der Schwarm Schmetterlinge.
»Siehst du«, flüsterte Kolja und ließ eine Haarsträhne von ihr durch seine Finger gleiten. »Die Schmetterlinge sind ein Zeichen – die hat er uns gesandt.«
Sie nickte, das hatte sie auch schon gedacht, vorhin, gleich als sie den Schwarm gesehen hatte. Kolja verstand sie.
»Und weißt du, was er mir mitgeteilt hat?«
Julia schüttelte den Kopf, konnte Kolja jetzt nicht in die Augen sehen, nur in den Himmel – der groß und blau über ihr schwebte.
»Dass er dich liebt.«.
Julia konnte sich nicht rühren. Kolja tastete nach ihrer Hand. Sie schluckte Tränen runter, zog vorsichtig ihre Hand weg, legte beide Hände auf ihren Bauch und atmete tief bis in die Hände. Für einen kurzen Augenblick fühlte sie sich wieder rund.
KAPITEL 27
Nackt und unschuldig
Sie würde Charly gern mal wiedersehen. Zweimal hat sie ihr nun schon abgesagt, Helen auch, weil Kolja es doch immer irgendwie schafft, sie nach Strich und Faden zu verführen. Dann ist sie fast wieder glücklich – oder was ist das für ein Gefühl, das sich unmittelbar danach in ihr ausbreitet?
»Du musst dich mir ganz hingeben, dich ganz fallen lassen, kleine Julia. Du weißt doch, ich bin immer für dich da, ich fang dich auf!«, sagt Kolja, und sie weiß, er tut es für sie und für Jonas. – Und dann diese umwerfenden Komplimente: »Du bist so gottverdammt schön, du verdienst es, verwöhnt zu werden! Und nur wenn du dich wirklich öffnen kannst, kannst du wieder Jonas einlassen.«
Sie spürt genau, was er damit meint, und sie öffnet sich ja, denn nichts ist schöner, als wieder bei Jonas zu sein. So verbringt sie weiterhin jede freie Minute mit Kolja – und Jonas. Mit Kolja hat sie Sex und mit Jonas macht sie Liebe.
Julia hätte nie geahnt, dass so viel Lust überhaupt möglich ist! In letzter Zeit wurde es manchmal etwas heftiger, es tat auch schon mal ein bisschen weh, aber das steigerte alles nur noch. Allerdings braucht sie Pausen. Ruhe zwischendurch, für sich und ihre Freundinnen und für die Schauspielerei. Sie versenkt sich in die Szenen, die sie lernen muss, taucht völlig ab, kann jetzt schon fast alles auswendig. Bei Gier ist ihr die Stimme von B. wie auf den Leib geschrieben und das scheinbar Belanglose ergibt doch einen Sinn:
– Jemand ist gestorben, der nicht tot ist.
– Ist nicht meine Schuld. Ist nie meine Schuld.
– Geh fort.
– Jetzt.
– Wenn sie fortgegangen wäre, wäre von alldem nichts geschehen.
– Nichts davon.
– Ich spür nichts.
– Und hat sich seitdem rasend entfernt von dem Moment.
– Du hast dich verliebt in jemanden, der nicht existiert.
Ist das nicht stark?!
Von Kabale und Liebe hat sie sich einen Teil aus dem ersten Akt, dritte Szene herausgesucht, wo Miller, Luises Vater sagt, wie froh er doch wäre, sie hätte Ferdinand nie gesehen, und Luise ihm daraufhin gesteht, wie sehr sie Ferdinand liebt. Das ist Julias Lieblingsstelle, die sie so tief empfinden kann, dass ihr beim Sprechen die Tränen kommen:
Was sagt Er da? Was? – Nein! Er meint es anders, der gute Vater. Er wird nicht wissen, dass Ferdinand mein ist, mir geschaffen, mir zur Freude vom Vater der Liebenden. – Als ich ihn das erste Mal sah – und mir das Blut in die Wangen stieg, froher jagten alle Pulse, jede Wallung sprach, jeder Atem lispelte: Er ist’s! – und mein Herz den Immermangelnden erkannte, bekräftigte: Er ist’s! und wie das widerklang durch die ganze mitfreuende Welt.
Julia freut sich, wenn sie diesen Text spricht. Sie kann es gar nicht abwarten, Herrn Lambosi vorzusprechen. Heute endlich ist sie dran. Sie fühlt
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