Je mehr ich dir gebe (German Edition)
verschüttet Bier über ihren Rücken. Nach der ersten Stunde hat sie genug. Sie fahren zu Kolja, es ist ja noch früh. Im Treppenhaus geht sie vor ihm her. Kolja tastet über ihren Hintern, um herauszufinden, was sie für Unterwäsche trägt.
»Hab ich mir doch gedacht, dass es eins von den neuen Höschen ist«, sagt er und schmunzelt so süß. Auf dem Konzert hat er schon mehrmals mit dem Handrücken ihren Po gestreift. Der neue Seidenslip fühlt sich gut an, und seine »zufälligen« Berührungen auch. Immer wieder schafft er es, mit seinen Händen ihre Gedanken abzustellen. Jetzt pflückt er sie von der nächsten Stufe, sie landet in seinen Armen, muss ein Kreischen unterdrücken. »Pscht!«, macht er und trägt sie die Treppen hoch, kommt außer Atem, lacht. Sie schlingt die Arme um seinen Hals und wackelt mit den ausgestreckten Füßen. Könnte glatt eine Hochzeitsszene aus einem Film sein. Er küsst sie, frech und forsch, sie küsst zurück. Es ist ihm scheinbar ganz egal, ob jetzt jemand aus einer Wohnung kommt und sie sieht. »Ich werde dir die Augen verbinden und dich mit Eiswürfeln verwöhnen«, haucht er ihr ins Ohr. Sie quiekt auf, als hielte er ihr schon einen Eiswürfel an den Hals. Sie schließt die Augen, hypnotisiert von seiner Stimme, die ihr erzählt, was man mit Eiswürfeln alles machen kann. Sie fühlt genau, was Kolja sagt, spürt, wie erregt er ist, wie sehr er sie begehrt. Er setzt sie auch nicht ab, als er die Wohnungstür aufschließt. Das dauert ein bisschen, bis er den Schlüssel aus seiner Hosentasche gefummelt hat. Er drückt sie dabei mit dem Rücken an die Tür. Sie denkt an die Szene in dem fremden Hauseingang in Neukölln und ein Schauer rieselt ihr über den Rücken. Endlich hat er die Tür auf, trägt sie über die Schwelle und schubst die Tür mit einem Fuß wieder zu. Dann führt er sie in sein Schlafzimmer. Kaum liegt sie auf dem Bett, ertönt My life as a duck aus unsichtbaren Lautsprechern. Sie sieht Jonas, wie er da in der Ecke sitzt, mit seiner Gitarre, und singt, während Kolja geht, um die Eiswürfel zu holen.
Am Dienstag ruft Anne an. »Hat Kolja dich gestern Abend etwa nicht gehen lassen?«
»Wie kommst du denn darauf?«
»Na ja, ich weiß, dass er ein eifersüchtiger Typ ist.«
Wer hier wohl eifersüchtig ist!
»Er war damals auch tierisch eifersüchtig auf Jonas, als ihr zusammengekommen seid.«
»Das glaube ich nicht. Kolja war doch froh, dass es seinem besten Freund gutging. Er war vielleicht ein bisschen eifersüchtig. Das ist doch normal.«
»Häh?«, macht Anne. »Seit wann waren Kolja und Jonas denn beste Freunde? Hat Kolja das etwa erzählt?«
Julia möchte nicht weiter mit Anne über Kolja und Jonas reden. Am liebsten würde sie Anne ganz absägen. Kolja hat schon recht, wenn er sagt, die Frau nervt. Julia kann sich gerade überhaupt nicht mehr vorstellen, nächste Woche zu einer Sitzung zu gehen. Ihr wird das alles zu viel.
Die nächsten Tage werden ihr aber auch zu viel. Kolja ist jede freie Minute da, jeden Tag, sie kann nicht mal von der Schule oder vom Schauspielunterricht verschnaufen. Überall taucht er aus dem Nichts auf, holt sie ab und flirtet mit ihren Schulfreundinnen. Alle finden Kolja cool und so was von charmant. Dabei möchte er sie gar nicht kennenlernen. Charly reiche ihm schon. – Was ist denn das für ein Argument?
Er wolle Julia eben ganz für sich allein haben, sagt er, sonst könnte er die Nähe nicht herstellen, zu ihr und zu Jonas. Trotzdem würde Julia aber gern auch ein paar Schritte ohne ihn machen oder sich mit Freundinnen treffen. Das sieht er immer weniger gern. Sie will sich das nicht gefallen lassen, aber dann ist er wieder so lieb und hat immer eine Überraschung für sie – Trüffelpralinen, einen Seidenschal oder neue, edle Unterwäsche. Er schafft es auch jedes Mal, sie zu überreden, sie anzuziehen, genau wie letzten Freitag, auf dem Friedhof. Sie wollte eigentlich gar nicht auf den Friedhof, aber Kolja hat gesagt, es ziehe ihn so sehr dorthin. Jonas sei ihm gerade so nah, als wolle er ihm etwas mitteilen. Das spüre er genau, sie wolle doch bestimmt dabei sein, oder?
Die Krähen waren wieder da, hockten in den Eichen und schauten auf sie hinab. Sie waren heute ganz still. Auf dem Friedhof war es auch still, nur der Wind rauschte durch die Bäume. Alles war frisch und grün. Es hatte in der Nacht geregnet. Es roch nach nasser Erde und nach Rosen. Sie gingen durchs Gras, den schmalen, krummen Weg hinauf, an
Weitere Kostenlose Bücher