Je sueßer das Leben
Anlass? Sie versucht sich zu erinnern, wann sie sich kennengelernt haben, an ihren ersten Kuss, wann sie zusammenzogen. Ist ihr Geburtstag? Sein Geburtstag? Valentinstag? Moment mal – nächsten Monat wohnen sie seit einem Jahr in Avalon. War es ein Dienstag? Edie stöhnt. Was führt Richard nur im Schilde?
Sie weiß, dass sie in der Hinsicht nicht ganz normal ist, aber sie möchte einfach nicht überrascht werden. Edie hasst Überraschungen. Er soll sie gefälligst vorwarnen. Mindestens vierundzwanzig Stunden vorher. Sie wird natürlich ja sagen (das wissen sie beide), aber er soll sie vorwarnen. Das hat er ihr versprochen. Warum macht sie sich dann jetzt solche Gedanken?
»Bereit?« Richard steckt den Kopf zur Tür herein, und Edie zuckt erschrocken zusammen.
»Nein!« Verzweifelt versucht sie, sich etwas einfallen zu lassen, das ihn von seinem Plan abbringen könnte. »Das ist wirklich nicht der richtige Zeitpunkt, um …«
Er zieht die Augenbrauen zusammen und hält eine Tüte in die Höhe. »Sicher? Ich dachte, du bist hungrig?«
Oh. Edie spürt, wie ihr die Röte ins Gesicht steigt. »Nein, stimmt, das bin ich.«
Er tritt zu ihr und zieht zwei Styroporbehälter aus der Tüte. »Fettarm, salzarm, bio. Da drin ist grüner Salat mit Hüttenkäse und Leinsamen, alles Grünzeug aus dem Freiland, dazu ein bisschen Tofu und Leinsamen. Und da drin ist Forelle blau mit Kartoffelbrei aus neuen Kartoffeln.« Er grinst zufrieden, selbst Edie muss zugeben, dass er alles richtig perfekt gemacht hat.
»Wow.« Sie öffnet den Salatbehälter und pickt eine Kirschtomate heraus, die sie Richard in den Mund steckt. Sie selbst knabbert an einem Gurkenschnitz. »Woher hast du das?«
»Aus Madelines Teesalon. Abends kriegt man da was zum Mitnehmen. Aber das hier hat sie speziell für dich zubereitet.«
Edie bekommt ein schlechtes Gewissen. Sie weiß, dass Julia eine gute Freundin von Madeline ist. »Warum hat sie das getan?«
»Weil ich ihr gesagt habe, dass du Präeklampsie hast und nicht viel Salz essen darfst. Sie lässt dich herzlich grüßen. Ach ja, hier ist noch etwas.« Er hält ihr einen winzigen Zitronen-Mohn-Guglhupf hin. »Nachtisch!«
Jetzt fühlt sich Edie erst recht schuldig.
»Sie hat gesagt, dass sie viel weniger Zucker und Fett reingetan und einen Salzersatz genommen hat. Sie hat mir sechs Stück davon mitgegeben – angeblich kann man sie gut einfrieren. Es ist eines dieser Freundschaftsbrotrezepte. Sie wollte kein Geld dafür. Es ist ein Geschenk.«
Madeline ihr Erstgeborenes zu geben fiele Edie wahrscheinlich leichter als die Dankeskarte, die sie jetzt schreiben muss. Dafür wird sie ihre gesamte seelische Kraft aufbieten müssen. »Ich glaube, ich fange mit dem Nachtisch an.«
Richard stellt das Essen auf den kleinen Fernsehwagen, den er von unten hochgetragen hat. »Das habe ich mir gedacht. Willst du ein bisschen Tee dazu?« Er zieht eine Gabel und eine Serviette aus der Tüte und reicht sie ihr.
»Nein, danke.«
Er greift noch einmal in die Tüte. »Und wie wär’s mit einem Diamantring?« Er zieht ein mitternachtblaues Samtkästchen heraus und öffnet es, darin steckt ein in Platin gefasster glitzernder Diamant.
Edie erstarrt. Ihre rechte Hand mit der Gabel und einem Kuchenstückchen schwebt regungslos in der Luft.
Richard lächelt: »Danke. Das fasse ich mal als ja auf.« Er schnappt sich ihre linke Hand und steckt den Ring auf ihren Ringfinger. Er passt wie angegossen. Dann beugt er sich vor, um sie zu küssen, völlig ungerührt davon, dass sie noch immer keinen Ton herausgebracht hat. »Und nur falls dir die Frage auf der Zunge liegen sollte: Das ist ein blutfreier, konfliktfreier Diamant aus Kanada.«
Edies Augen füllen sich mit Tränen. »Ich liebe dich, Richard.«
Er gibt ihr einen Kuss und blickt ihr tief in die Augen. »Ich weiß, Edie. Und weil ich dich auch liebe, werden wir heiraten und bis ans Ende unserer Tage glücklich und zufrieden leben.« Sein breites Grinsen verrät, dass er sich diebisch darüber freut, sie überrascht zu haben. »Ich muss los. Bis heute Abend. Ich werde alles aufräumen, wenn ich wieder da bin, du brauchst dich um nichts zu kümmern.«
»Aber, aber …« Der Ring glitzert an ihrem Finger, er fängt das Licht ein und wirft es in kleinen Regenbogen zurück. Er ist wunderschön, Edie kann kaum den Blick davon wenden. Schließlich schafft sie es und zwingt sich, Richard streng anzusehen. »Ich dachte, du wolltest mir den Antrag an einem besonderen
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