Je sueßer das Leben
können.
Julia sieht Hannah neugierig an. »Ist Ihr Mann auch Musiker?«
Hannah nickt kurz und nimmt dann schnell einen Schluck Eistee. Wärme breitet sich in ihrer Kehle aus – der Ingwer ist angenehm scharf. »Philippe ist Geiger. Er spielt die zweite Geige beim Chicago Symphony Orchestra.« Und er hat mich verlassen , möchte sie hinzufügen, lässt es dann aber doch bleiben. Von solchen Dingen wollen die Leute oft lieber nichts wissen.
»Warum haben Sie aufgehört zu spielen?«, fragt Julia.
»Vor drei Jahren bekam ich nach einer anstrengenden Konzertreise massive Rückenprobleme. Ich konnte nicht für längere Zeit aufrecht sitzen – mein Rücken war völlig verspannt. Chronische Rückenprobleme sind bei Cellisten leider weit verbreitet, und ich litt auch schon länger darunter, aber das war viel, viel schlimmer. Ich legte eine Pause ein, aber es war eigentlich bereits klar, dass ich so nicht weitermachen konnte.«
»Wie traurig.«
»Ach, es macht mir nichts aus«, sagt Hannah, auch wenn es ihr sehr wohl etwas ausmacht. Sie vermisst das Spielen mehr als alles andere, und jetzt ganz besonders. Manchmal fragt sie sich, wozu die viele harte Arbeit gut gewesen sein soll. »Abgesehen davon hatten Philippe und ich keine Lust mehr, eine Fernbeziehung zu führen. Daher bot es sich an, die Wohnung in New York aufzugeben und nach Chicago zu ziehen. Dann beschlossen wir dieses Jahr, uns ein Haus in irgendeinem Vorort zu suchen. Da wir nichts fanden, was uns gefiel, erweiterten wir den Radius, bis wir in Avalon landeten.« Sie erwähnt nicht, dass sie sich anfangs gegen den Gedanken, in eine Kleinstadt zu ziehen, die so weit von Chicago und dem für sie so wichtigen Kulturleben entfernt war, gewehrt hatte. Philippe hatte jedoch darauf bestanden und Hannah mit dem Argument überzeugt, er würde nur an ihre Zukunft denken. Mittlerweile weiß sie, dass er nur an seine Zukunft gedacht hat. »Es war Philippes Entscheidung hierherzuziehen.«
»Gefällt es ihm?«
»Er hat immer gesagt, dass er die Ruhe hier genießt, aber er war nie da.« Hannah merkt, dass sie in der Vergangenheitsform spricht, aber Julia scheint es nicht zu bemerken.
»Haben Sie Kinder?«
»Nein.« Hannah mag sich gar nicht vorstellen, in welcher Lage sie jetzt wäre, wenn sie Kinder hätte. »Wir haben darüber geredet, aber ich glaube nicht, dass wir noch welche bekommen werden.« Mehr sagt sie nicht, und Julia fragt nicht.
Julia sieht zum Fenster hinaus. »Ich weiß gar nicht mehr, ob ich etwas von Ihrer Ankunft hier in der Gazette gelesen habe, wobei ich die Zeitung zugegebenermaßen nicht regelmäßig lese. Jedenfalls bauschen sie jedes Ereignis in der Stadt so sehr auf, dass sie sich bestimmt begeistert darauf gestürzt haben, als man Sie und Ihren Ehemann als Neubürger in Avalon begrüßen durfte.«
Hannah lächelt Julia verwirrt an. Avalon ist so ganz anders als New York und selbst Chicago! Sie erinnert sich an Zeiten, als sie und Philippe ständig in der Presse auftauchten und Musikliebhaber wie Fotografen hingerissen waren von dem jungen Paar, dem der Starruhm vorherbestimmt zu sein schien.
»Außer Madeline interessieren sich heute wohl nur noch die wenigsten für klassische Musik«, sagt Hannah.
»Ich kenne mich leider auch nicht so gut aus, wie ich es gerne täte«, bekennt Julia kleinlaut. Anders gesagt: Sie hat keine Ahnung, wer Hannah ist.
Worüber Hannah froh ist. Sie war nie sicher, ob jemand sie mag oder nur ihre Musik. Sie hat unzählige Freunde und Bekannte, Musiker, die ähnliche Biographien vorweisen können – sie haben früh mit dem Spielen begonnen, besuchten in den Ferien Sommerkurse, besuchten die Juilliard School, das übliche Musikerschicksal eben –,aber sie kennt nicht viele Leute außerhalb der Musikszene. Andere Freundschaften zu schließen war bei ihrem Lebenswandel, zu dem ständige Umzüge und permanentes Üben gehörten, praktisch unmöglich.
Als ihnen ihr Essen serviert wird, macht sich Hannah hungrig darüber her. Ihr Toast wird von einem Spiegelei gekrönt, dazu gibt es eine cremige Käsesauce. Sie und Julia lassen sich gegenseitig probieren, und sie sind beide begeistert –Madeline ist wirklich eine wunderbare Köchin. Sie haben beide eine ausgezeichnete Wahl getroffen, und Hannah beschließt, das nächste Mal etwas von der Karte zu nehmen, das sie noch nicht kennt, und dass sie das so lange machen wird, bis sie alles probiert hat.
Hannah fragt Julia über Avalon aus. Was man unternehmen kann,
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