Jeder Kuss ein Treffer
anderen. Wahrscheinlich will ich sagen: Wer kümmert sich eigentlich um Annie?«
»Das ist doch eine Sache der Gegenseitigkeit. Die Leute um mich herum kommen für mich einer Familie am nächsten. Nicht dass meine Großmutter mich nicht aufrichtig geliebt hätte«, fügte sie schnell hinzu, »aber ich war eher so etwas wie ihre Aufpasserin.«
»Und deine Eltern?«
Annie lächelte. »Das sind wirklich liebe Menschen, aber sie hatten keine Ahnung, was sie mit einem Kind anfangen sollten. Meine Mutter kommt viel besser mit mir als erwachsener Frau zurecht, mit der sie essen und einkaufen gehen kann, wenn ich zu Besuch bin. Dann liegen wir am Swimmingpool und probieren teure Weine, und ich bemitleide sie, wenn sie mir Horrorstorys von ihrer Kindheit in diesem Haus erzählt. Auf diese Weise muss sie keine Schuldgefühle haben, mich all die Jahre allein gelassen zu haben.«
»Siehst du sie oft?«
»Nein, sie ist nicht gerne hier, und ich kann wegen dem Bed & Breakfast nicht so einfach nach Atlanta fahren, aber normalerweise telefonieren wir einmal die Woche. Im Moment ist sie mit Freundinnen einen Monat in West Palm Beach. Unsere Lebensweisen sind ziemlich verschieden.«
»Weiß sie schon von der Entdeckung hinter dem Haus?«
Annie schüttelte den Kopf. »Das erzähle ich ihr erst, wenn alles vorbei ist. Besser, ich mache sie nicht verrückt damit.«
»Was ist mit deinem Vater?«
Annie schmunzelte. »Wie schon gesagt: ein sehr netter Mensch, der bis heute nicht weiß, was er mit einem Kind anfangen soll, insbesondere mit einer erwachsenen Tochter. Er wohnt im Süden von Frankreich und schickt nette Schecks zum Geburtstag und zu Weihnachten, von denen ich die laufenden Reparaturen am Haus bezahle.«
»Geschwister?«
»Nee. Hast du welche?«
»Wir waren zu siebt, drei Mädchen und vier Jungen.«
»Heiliger Bimbam!«
»Ich bin in der Mitte. Dieses Kind kommt der Statistik zufolge immer zu kurz. Offenbar wusste meine Familie das nicht, denn meine Kindheit war eigentlich ganz in Ordnung.« Wes nahm seine und Annies Kaffeetasse, schenkte nach und brachte sie zurück an den Tisch.
Auf der Treppe rührte sich etwas. Beide sahen auf. Destiny nickte ihnen ein müdes »Guten Morgen« zu, stieg von der letzten Stufe und blieb stehen. Sie gähnte laut und blinzelte mehrmals, als müsse sie erst einmal richtig wach werden. »Kaffee«, sagte sie und taperte auf die Kanne zu.
Annie fiel ihr müdes Gesicht auf. »Wieder eine schlechte Nacht gehabt?«
Destiny nickte. »Tote schlafen ja nicht. Ich muss unbedingt dafür sorgen, dass ich bald wieder in meine Wohnung einziehen kann.« Sie sackte auf den Stuhl gegenüber von Wes. »Auch wenn das nichts ändert. Wenn ein Geist sich erst mal an mich gehängt hat, folgt er mir normalerweise überall hin. Bis ich ihn überzeuge, zum Licht zu gehen«, fügte sie hinzu.
Dann schaute sie Wes an. »Sie glauben mir kein einziges Wort. Sie halten mich für durchgedreht.«
Er zuckte mit den Achseln. »Mir ist auch schon das eine oder andere aufgefallen, das sich nicht so einfach erklären lässt.«
»Jetzt wissen Sie Bescheid.«
»Wenn ich da nur irgendwie helfen könnte«, sagte Annie.
»Glaubst du auch an Geister?«, fragte Wes.
Annie zögerte. »Also, ich erzähle euch jetzt etwas, das ich noch niemandem erzählt habe, aber das müsst ihr für euch behalten, weil ich den anderen keine Angst einjagen will.« Sie senkte die Stimme. »Meine Großmutter redete immer mit sich selbst. Wenigstens dachte ich das. Aber als ich sie einmal darauf ansprach, sagte sie mir, dass ein Geist, eine Frau, mit ihr in Verbindung zu treten versuchte.« Annie schwieg und schaute Destiny an. »Du hattest recht. Ich habe schon oft die Gegenwart eines unsichtbaren Wesens gespürt. Manche Gäste behaupten, etwas gesehen zu haben, eine Art Erscheinung, und manchmal meine ich, etwas aus den Augenwinkeln zu sehen.«
»Ich verstehe nicht, warum du versuchst, es vor Theenie und Lovelle zu verheimlichen. Sie vermuten es schon lange. Und du brauchst auch keine Angst zu haben, dass es dein Geschäft schädigt. Ich denke, es könnte die Leute sogar anlocken. Hast du das Haus auf irgendeiner Website gelistet?« Annie schüttelte den Kopf.
»Ich wüsste jemanden, der dir eventuell eine Homepage gestalten könnte«, sagte Destiny. »Du kennst ihn auch: Mike Henderson, der Redakteur von Jamie.«
Annie nickte. »Was nimmt er dafür?«
»Er betet mich an und macht es deshalb bestimmt umsonst. Aber du musst wirklich
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