Jeder Kuss ein Treffer
mehr stillgestanden. Anschließend wurde die Meldung stündlich wiederholt, als hätten die Fernsehleute Angst, es könnte jemand in Beaumont noch nicht mitbekommen haben.
Als schließlich sogar Annies Mutter aus West Palm Beach angerufen hatte, hatte Annie den Hörer danebengelegt. Ihre Mutter hatte die schäbige Geschichte verfolgt, nachdem sie in den Schlagzeilen gelesen hatte, die Gebeine eines Mannes aus South Carolina seien durch eine Autoentführung abhanden gekommen. Charles Fortenberry war nicht nur namentlich erwähnt worden; man hatte auch den Fall kurz skizziert, angefangen mit der Ausgrabung seiner Knochen. Es gab eine lächerliche Aufnahme von Lamar Tevis, der neben dem Tatort stand und auf einen Erdhaufen wies, gefolgt von Bildern von einer keifenden Annie in einem alten Chenille-Bademantel und mit abstehendem Haar, die in die Fernsehkamera schrie und die Faust schüttelte. Dann sah man Annie, wie sie nach dem Haftprüfungstermin versuchte, sich auf der Treppe des Gerichtsgebäudes hinter Cal Nunamaker zu ducken.
»Ich will nur, dass du weißt, dass ich für dich da bin, Annie«, hatte Jenna Worthington gesagt. »Ich nehme das erste Flugzeug und komme zu dir, wenn du mich brauchst. Ich übernachte sogar in diesem schrecklichen Haus, wenn es unbedingt sein muss.«
Annie hatte ihrer Mutter gedankt, ihr aber versichert, es sei nicht nötig. Doch dass ihre Mutter ihr Kommen angeboten hatte, hatte der morgendlichen Festnahme durch die Polizei den Stachel genommen.
Seit der Morgendämmerung war Annie am Arbeiten. Sie traf die Vorbereitungen für das Probeessen und versuchte, nicht auf Peaches zu treten, die offenbar hoffte, ihr würde etwas Essbares über den Weg laufen. Kopfschüttelnd schaute Annie die Katze an. »Du hast heute Morgen schon zwei Dosen Katzenfutter bekommen. Ich glaube, du bist essgestört.«
Die Katze miaute.
»Tut mir leid, ich kann dir nur Salat anbieten.« Annie machte sich wieder an die Arbeit. Kurz darauf hörte sie ein Geräusch, drehte sich um und sah, dass Peaches in ihrer Lieblingspflanze grub.
»Nein!«, rief Annie bestimmt, ohne zu wissen, dass Wes am Treppenabsatz stand. Sie lief zu der Pflanze und griff nach der Kugel orangefarbenen Fells, aber Peaches duckte sich und entkam in die andere Richtung. Annie wirbelte so schnell herum, dass sie den Halt verlor und mit dem Hintern in die Pflanze fiel. Der Topf kippte um, die Blumenerde verteilte sich auf dem Küchenboden. Einen Moment blieb Annie sitzen und fluchte leise vor sich hin. Peaches stolzierte derweil zu dem Flechtteppich vor dem Kühlschrank, ließ sich darauf nieder und begann, sich zu lecken.
»Probleme?«, fragte Wes.
Annie sah ihn an. »Wie kommst du darauf?«
Er holte sich eine Tasse, goss sie voll Kaffee und trank schweigend. Peaches erhob sich, spazierte zu ihm hinüber und rieb sich an seinem Bein. Wes kraulte die Katze hinter dem Ohr, und sie begann zu schnurren. Er leerte die Tasse in einem Zug, stellte sie in die Spülmaschine und steuerte auf die Tür zu.
Neben Annie blieb er stehen und schaute auf sie hinunter. »Brauchst du Hilfe beim Aufstehen?«
»Nö. Mir gefällt‘s gut hier unten.«
Er nickte, schloss die Tür auf und öffnete sie. »Nur damit du es weißt, diese Pflanze ist erledigt.«
Annie hörte, wie er sein Motorrad anspringen ließ. Kurz darauf röhrte er davon. Er vertraute ihr nicht mehr. Im Moment wusste sie nicht einmal mehr, ob er sie noch mochte. Und sie hatte nicht die leiseste Ahnung, wie sie die Sache wieder ins Lot bringen sollte. Es war ihre Schuld. Sie hätte Lamar die ganze Wahrheit sagen sollen, als er sie kurz nach Charles‘ Verschwinden befragte. Aber das hatte sie nicht. Und das machte das Ganze nur noch schlimmer.
Als Annie das Frühstück servierte, kam Erdle nach Hause. Zusammen mit Theenie beobachtete sie, wie er über den Hof hinauf zu seiner Wohnung schwankte. »Ich glaube, er hat wieder angefangen«, bemerkte Theenie.
Annie schaute sie an. »Meinst du?«
Danny fuhr in seinem Auto vor, stieg aus und ging zur Remise. Er öffnete die Tür, die in die Garage führte. Kurz darauf erschien er mit einer Harke. »Oh, er will den Hof für dich rechen«, sagte Theenie. »Wie lieb von ihm!«
Annie nickte. Sie wollte ihm eine Tasse Kaffee hinausbringen und ihn zum Frühstück einladen. »Ja, er ist ein guter Kerl«, sagte sie. »Ich wüsste nicht, was ich ohne ihn tun sollte.«
»Vielleicht ist es höchste Zeit, dass du darüber mal ernsthaft nachdenkst«,
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