Jedes Kind ist hoch begabt: Die angeborenen Talente unserer Kinder und was wir aus ihnen machen (German Edition)
Gefühlsregungen der Mutter ihnen Sicherheit bieten und welche nicht. Deshalb fühlen sie sich gut, wenn es der Mutter gut geht, und werden ängstlich, verunsichert oder hektisch, wenn die Mutter ängstlich, verunsichert oder hektisch reagiert. Ihr emotionales Empfinden ist auf diese Weise an den emotionalen Zustand der Mutter gekoppelt. Sie fühlen mit, was die Mutter und später auch der Vater oder eine andere wichtige Bezugsperson empfinden.
Wenn ein Kind erst einmal diese entscheidende Erfahrung gemacht hat, dauert es meist nicht lange, bis es feststellt, dass es durch seine Mimik, Gestik oder mit seiner Stimme beim anderen eine Reaktion auslösen kann. Es erlebt sich so als Urheber und Gestalter eines Dialogs, in dem es seine Gefühle in einer für einen anderen Menschen verständlichen Weise zum Ausdruck bringen kann. Es kann noch nicht sprechen, aber sich ohne Worte verständigen. Aus der angeborenen Begabung mitzufühlen, was ein anderer Mensch empfindet, entwickelt es die Fähigkeit, anderen Menschen mitzuteilen, was es selbst fühlt.
Schon im Alter von einem Jahr können Kinder Wünsche und Absichten verstehen. Ab Mitte bis Ende des zweiten Lebensjahres sind sie fähig, Leid lindern zu wollen. Sie streicheln, sie nehmen jemanden in den Arm: » Heile machen«, sagen sie. Oder sie holen Hilfe. Wenn ein Kind den Schmerz eines anderen mitempfindet und so fühlt, als sei es sein eigener, wird es versuchen, diesen Schmerz beim anderen zu lindern. So, als sei es selbst betroffen. Und wenn es Freude empfindet, wird es sich bemühen, auch anderen eine Freude zu bereiten. Weil das solch ein schönes Gefühl ist. Je mehr positive Erfahrungen Kinder aus ihrem Handeln ziehen, umso häufiger versuchen sie, diese Erkenntnisse bei anderen Menschen anzuwenden. Im Erkennen eines anderen, in dem Bemühen, sich ein Bild von ihm zu machen, vor ihm zu sitzen: Darin liegt die Bedeutung des schönen Wortes Vorbild. Indem wir Vorbild sind, können sich andere an uns orientieren und uns imitieren.
Weil ein Kind noch nicht weiß, worauf es im Leben ankommt, und es deshalb einzelne Wahrnehmungen noch nicht als besonders wichtig und andere als unwichtig bewertet, achtet es anfangs noch auf alles, was in seiner Umgebung passiert. Jedenfalls dann, wenn es sich bei den ihm vertrauten Bezugspersonen geborgen fühlt: aus einer sicheren Position heraus. Auch wenn es sich gerade intensiv mit etwas Bestimmtem beschäftigt oder etwas in seiner Umgebung passiert, das seine gesamte Aufmerksamkeit auf sich zieht: Denn die Sinne sind immer auf Empfang. Die meisten Kinder können deshalb noch sehen, schmecken, riechen, hören und spüren, was Erwachsene oft gar nicht mehr bemerken. Beim Aufstehen, beim Anziehen, beim Zähneputzen: Immer sind sie mit ihrer Aufmerksamkeit gleichzeitig überall. Alles ist neu, alles ist aufregend, das Leben ein Fest für die Sinne. Sie können sich gar nicht entscheiden, worauf sie zuerst achten und eingehen sollen, sofort biegt die nächste Sensation um die Ecke. So wird für Kinder jede noch so alltägliche Aktion zu einer Expedition. Die Großen zerren und wollen weiter, doch die Kleinen kommen nur achtsam voran.
Das ist gut so und das muss auch so sein, denn nur im Zustand ungerichteter Aufmerksamkeit kann eine bestimmte Wahrnehmung für ein Kind auch eine ganz besondere Bedeutung erlangen. Nicht deshalb, weil jemand seine Aufmerksamkeit darauf lenkt, sondern weil das Kind selbst gewählt hat, was ihm im Moment von all dem, was es wahrnimmt, ganz besonders gefällt, was es wirklich interessiert, womit es sich besonders verbunden fühlt. Im Zustand der Achtsamkeit erlebt jedes Kind, wie spannend und aufregend es ist, sich frei und ohne äußeren Zwang ganz allein und aus sich selbst heraus für etwas zu entscheiden. Das ist ein großartiges Gefühl. Je intensiver Kinder diese Erfahrung von eigener Entscheidungsfreiheit zunächst auf der Ebene ihrer eigenen Wahrnehmungen machen und in ihrem Hirn verankern können, desto leichter wird es ihnen später gelingen, sich auch auf der Ebene ihrer Handlungen oder Verhaltensweisen frei zu entscheiden. Ein achtsamer Mensch lernt früh, was Freiheit bedeutet.
Je älter die Kinder werden, umso schwerer fällt es ihnen allerdings, in diesem Zustand der unvoreingenommenen Aufmerksamkeit zu bleiben. Immer häufiger erleben sie, wie andere versuchen, ihre Aufmerksamkeit in eine bestimmte Richtung zu lenken. Kindern vergeht die Lust an der eigenen sinnlichen Wahrnehmung sehr
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