Jeier, Thomas
verloren«, sagt sie, als wir im Hogan auf einigen Fellen sitzen, »unsere Sprache wird kaum noch gelehrt.« Als Lehrerin in der Public School achtet sie darauf, dass ihre Kinder wenigstens die Grundbegriffe kennenlernen. Ein Medizinmann kommt in die Schule und singt die alten Lieder. Ihre eigenen Kinder, drei Söhne und drei Töchter, sprechen fließend Navajo, sind im Reservat geblieben. »Ich habe einen zweiten Hogan gebaut, den vermiete ich an Besucher.« Und als ob sie sich dafür entschuldigen müsste: »Ich suche mir meine Gäste selber aus. Nur wenn sie sich wirklich für unsere Kultur interessieren, dürfen sie bei mir wohnen. Ein Hogan ist ein heiliger Platz. Beim Bau haben wir die alten Lieder gesungen. Wir haben Tabak und Mais geopfert.«
Bei den Blackfeet in Montana lerne ich Curly Bear Wagner kennen. Mit ihm erkunde ich das Reservat und den heiligen Chief Mountain am Rande des Glacier National Parks. Curly Bear wuchs im Reservat auf und kann sich noch gut an seine Jugend erinnern: »Das war in den 1950er Jahren. Wir hatten eine kleine Farm, und ich kannte nichts außer unserer Hütte und dem Schulhaus, das ein paar Meilen entfernt lag. Im Sommer ritten wir zur Schule, im Winter brachte uns mein Vater mit dem Pferdeschlitten hin. Abends saß ich auf einer Bank vor dem Kaufmannsladen und sah den Touristen zu, die vom Glacier National Park zurückkamen. Mit meinem Vater ging ich oft auf die Jagd. Wir schossen Antilopen und hoben das Fleisch für den Winter auf. Im Sommer ließen wir uns auf Gummischläuchen den Fluss hinuntertreiben.«
Nach dem College kehrte Curly Bear ins Reservat zurück. Bis zu seinem frühen Tod veranstaltete er kulturelle Führungen und hielt Vorträge. Als junger Mann war er aktiv für das AIM (»American Indian Movement«) unterwegs, nahm an der Besetzung von Alcatraz (1969 - 1971) und Wounded Knee (1973) teil, um gegen die indianerfeindliche Politik der US-Regierung zu protestieren. »Um 1830 gab es ungefähr 120 000 Blackfeet«, berichtet er. »um 1890 lebte nur noch ein Viertel unseres Volkes. Die meisten Blackfeet starben an den Pocken oder wurden von Soldaten getötet. Heute leben ungefähr 8000 Menschen im Reservat in Montana. Die wenigsten kennen ihre Geschichte. Das muss sich unbedingt ändern. Die meisten Geschichtsbücher wurden von Weißen geschrieben. Indianische Geschichte wurde nur mündlich weitergegeben. Wir müssen auf die Ältesten hören, sonst stirbt unser Volk.«
Professor Dr. Birgit Hans lehrt »Indian Studies« an der University of North Dakota in Grand Forks. Sie lebt seit 20 Jahren im Indianerland und ist mit den Problemen der Native Americans bestens vertraut. Die Situation in den Reservaten kennt sie aus nächster Nähe: »Die Lage ist alarmierend. Besonders im gesundheitlichen Bereich. In manchen Gegenden leidet ein Viertel aller Indianer an Diabetes. Es gibt kaum alte Menschen, fast die Hälfte aller Indianer ist unter 17 Jahre alt. Indianer werden nicht alt, sterben an Krankheiten oder bei Verkehrsunfällen. Verantwortlich für diese Defizite sind vor allem die schlechte gesundheitliche Versorgung, einseitige Ernährung, Alkohol und Drogen. In den Reservaten der Northern Plains, die ich besonders gut kenne, sind Drogen an der Tagesordnung, besonders Meth (Methamphetamine), das man aus Düngemittel leicht herstellen kann. Einige Stämme haben Hilfsprogramme entwickelt, die kaum greifen, weil die Auflagen der Regierung die Verteilung der Hilfsgelder unnötig komplizieren.«
Die Hauptschuld an dieser misslichen Lage trägt die mangelhafte Ausbildung und die damit verbundene Perspektivlosigkeit vieler indianischer Jugendlicher. Dieser Meinung ist auch Rachel »Strange Owl« Magpie, eine Cheyenne, die Cheyenne-Kultur, Cheyenne-Sprache und Englisch an der Highschool in Lame Deer unterrichtet. In ihrem Camp auf dem Northern Cheyenne Pow-wow erzählt sie mir: »Ich habe mein ganzes Leben in diesem Reservat verbracht und beobachte die Entwicklung mit Sorge. Die Cheyenne verlieren ihre Kultur und ihre Tradition. Die jungen Leute sprechen nur noch Englisch. In meiner Jugend mussten wir Englisch sprechen, es wurde uns aufgezwungen. Wenn wir Cheyenne sprachen, wurden wir bestraft. Die weißen Lehrer in den 1950er Jahren traumatisierten mich. Auch die Kirche, die lange Zeit sehr dominant war, gerade im Bildungsbereich, trägt große Schuld. Ich hatte das Glück, ein College besuchen zu dürfen und unterrichte jetzt Cheyenne an der Highschool. Wir müssen unsere
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