Jeier, Thomas
jungen Frauen und Männern, denen man die Köpfe und Gliedmaßen abgetrennt hatte. Menschenopfer und Verwandte, die ihrem Herrscher freiwillig in den Tod gefolgt waren und es wohl als Ehre empfunden hatten, mit ihm begraben zu werden.
Die Bestattung eines Priesters war ein bedeutendes Ereignis in Cahokia. Der einstige Herrscher fand auf einem Bett von kostbaren Muscheln die letzte Ruhe, das Gesicht bemalt, den Körper mit Fellen und Federn bedeckt, die Haare mit Perlen und Muscheln verziert Statuen von vor ihm verstorbenen Priestern beschützten ihn vor bösen Geistern. Verwandte, Freiwillige und Gefangene wurden mit Tabak narkotisiert, enthauptet oder erdolcht und begleiteten ihn auf seine Reise ins Jenseits. Über 50 junge Frauen ließen zu Ehren eines bedeutenden Herrschers ihr Leben.
Die Bereitwilligkeit mancher Menschen, ihrem toten Herrscher in den Tod zu folgen, lag in ihrem Glauben begründet. Im Weltbild der Moundbuilders bedeutete ihr Leben nur eine Zwischenstation auf einer größeren Reise. Unter der Erde lag eine dunkle Wasserwelt, die von hässlichen Schlangen und Echsen beherrscht wurde. Über der Erde wartete das Reich der Sonne, ein geweihter Himmel, über dessen Wolken Adler und Falken schwebten und die unbegrenzte Freiheit symbolisierten, die man nach dem Tod erfahren würde. Die Pyramiden strebten diesem Himmel entgegen, brachten die
Toten der Sonne näher, symbolisiert durch das ewige Feuer, das in einem Schrein auf der Spitze brannte. Die Hüter des Feuers garantierten mit ihrem Leben dafür, dass dieses Feuer niemals erlosch, wer dagegen handelte, musste sterben.
Das Geheimnis der Pyramiden
Im 13. Jahrhundert schwand der Einfluss der Mississippi-Kultur. Bedingt durch den anhaltenden Ernteerfolg, wuchs die Bevölkerung so rasant an, dass sie selbst durch die despotische Elite kaum noch zu kontrollieren war. Wegen der katastrophalen sanitären Bedingungen breiteten sich, ähnlich wie im europäischen Mittelalter, Krankheiten und Seuchen aus und rafften ganze Städte dahin. Waffenfunde in Cahokia, Moundwell und anderen Siedlungen legen außerdem die Vermutung nahe, dass es in den Notzeiten zu vereinzelten Aufständen gegen die herrschende Klasse und zum Krieg gegen benachbarte Völker kam, die entscheidend dazu beitrugen, die Mississippi-Kultur zu zerstören. Die Sonne schien ihre Macht verloren und ihre Kinder vergessen zu haben.
Ob die letzten Angehörigen der Mississippian-Periode nach Mesoamerika zogen und dort das Volk der Azteken begründeten, ist zweifelhaft. Sicher ist jedoch, dass es auch im 16. Jahrhundert noch Indianer im Südosten von Nordamerika gab, die überdimensionale Erdhügel errichteten und in ihren Sitten und Gebräuchen an die einstigen Moundbuilders erinnerten.
Als erster Europäer bekam der spanische Eroberer Hernando de Soto die Erdhügel zu Gesicht, als er um 1540 die Creek aufsuchte. Im 16. Jahrhundert lebten sie in befestigten Dörfern mit Erdpyramiden und kleinen Tempeln, die an die Mississippi-Kultur erinnerten. So berichtete de Soto in Georgia ein gefangener Krieger, dass er zu einem Volk gehörte, das von einer mächtigen Herrscherin regiert und deren Vorgänger in riesigen Erdhügeln begraben wurden. Auch der Künstler Jacques Le Moyne, der um 1560 mit französischen Siedlern nach Florida kam, erzählte von Eingeborenen, die große Hügel zu Ehren ihrer Götter errichteten. Eine seiner Skizzen zeigt eine Begräbniszeremonie. Als Erben der Moundbuilders wurden auch die Natchez im heutigen Mississippi angesehen. Sie verehrten die Sonne und errichteten große Tempelberge. Maturin Le Petit, ein Jesuitenpriester, und der Entdecker Le Page du Pratz, beobachteten den obersten Priester, der sich »Große Sonne« nannte »und jeden Morgen die aufgehende Sonne grüßte, ihr dankte und Tabak in die vier Himmelsrichtungen blies.«
Obwohl die Mounds über die Täler des Mississippi und Ohio und den gesamten amerikanischen Südosten verteilt waren, wussten die Indianer wenig über die Herkunft der Pyramiden zu berichten. Das war ein Grund dafür, warum die europäischen Siedler zuerst annahmen, dass diese von einem hochentwickelten Volk und nicht von den ihrer Meinung nach primitiven Indianern erbaut worden waren. In ihren Augen waren die Indianer Nordamerikas einfältige Steinzeitmenschen, die nicht über das architektonische Wissen und die komplexen Werkzeuge verfügten, die nötig waren, um Städte und Pyramiden dieses Ausmaßes, dieser Größe zu errichten. Caleb
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