Jemand Anders
wie meine Erinnerung an ihn. Sympathisch war er mir jedenfalls nicht, so viel steht fest.
Doch wie ich zu diesem Gefühl komme, könnte ich nicht sagen.
*
Ich möchte Furat etwas fragen, das mir schon eine Weile am Herzen liegt, aber er unterhält sich gerade in seiner Muttersprache mit einem schnauzbärtigen, graumelierten Mann, der aussieht wie ein anatolischer Bauer. Wie einer, der sich im Jahrhundert verirrt hat. Ich schätze ihn auf mindestens fünfundfünfzig. Äußerst untypisch, dass Türken in dem Alter zu uns finden. Sie hocken lieber in ihren verrauchten Kaschemmen oder in privaten Spielhöllen, zu denen kein Österreicher Zutritt hat. Hingegen stellen die jungen Türken der dritten Generation einen überdurchschnittlich hohen Prozentsatz unserer Klientel.
Ich warte, bis Furat dem Mann seine Karte ausgehändigt und dafür den Spindschlüssel entgegengenommen hat. Obwohl ich kein Wort des kurzen Dialogs verstehe, überrascht mich die Körpersprache unseres sonst so jovialen Trainers. Am Ende verneigt er sich gar vor dem Schnauzbärtigen.
„Ein Verwandter von dir?“, frage ich, nachdem der Mann das Studio verlassen hat.
„Nein, überhaupt nicht. Wieso?“
„Weil du ihn so … zuvorkommend behandelt hast.“
„Er ist auch eine Respektsperson. Ein Saz-Spieler, und einer der besten, die ich kenne. Im Hauptberuf ist er Maurer. Besser gesagt er war es bis vor vierzehn Tagen, jetzt ist er in Rente und kann sich hoffentlich wieder mehr um seine Musik kümmern. Letzte Woche war ich auf einem kleinen Konzert in privatem Rahmen, da habe ich ihn erstmals seit Jahren wieder spielen gehört. Es war phantastisch! Danach haben wir zusammen Tee getrunken und er hat mir von seiner alten Heimat erzählt. Am meisten gehe ihm ab, dass er in vierzig Kilometern Umkreis von Treibern kein richtiges Bad findet, hat er gemeint, du weißt schon, einen Hamam mit Massage und allem Drumherum. Da habe ich ihm einen Zehnerblock für unseren Wellnessbereich geschenkt. Ist natürlich nur ein schwacher Ersatz für ein türkisches Dampfbad. Aber heute, an unserem Herrentag, hat er die Sauna das erste Mal genutzt und sich überschwänglich bei mir bedankt. Dabei bin ich ihm zu Dank verpflichtet. Seine Musik öffnet einem jeden das Herz.“
Furat lächelt mich versonnen an.
Ich weiß nicht einmal, wie eine Saz aussieht, geschweige denn, wie sie klingt. Aber Furats Begeisterung wirkt durchaus ansteckend.
„Komm, wir gönnen uns zwei Espressi. Ich finde, das passt jetzt. Die gerösteten Bohnen haben uns ja schließlich deine Vorfahren gebracht.“
„Gerne.“ Er macht sich an den Hebeln der Espressomaschine zu schaffen, die wirklich reif fürs Museum ist und, zugegeben, auch zu langsam arbeitet für ein so großes Studio. Aber mir ist das gute Ding einfach ans Herz gewachsen, und erstaunlicherweise konnte ich es bislang vor Reginas Modernisierungswut retten. Vermutlich ist die Gaggia Orione 1973 das einzige Stück aus Onkel Gerhards Inventar, das es ins dritte Jahrtausend geschafft hat. Ich bewundere Furat, wie geschickt er sie bedient.
Aber was wollte ich den Burschen eigentlich fragen?
„Ich dachte, du würdest keinen Kaffee mehr trinken“, ruft er zu mir herüber. Die Maschine pfaucht wie eine alte Dampflokomotive. „Den letzten hast du bei mir vor Wochen bestellt.“
„Du meinst, vor meinem Unfall?“
„Ja, natürlich. Als du das letzte Mal mit Reichert geredet hast. Hast du dir übrigens die Videobänder angeschaut?“ Er stellt die dampfenden Tassen vor uns hin. „Wie ich dir gestern schon sagte, die Szene mit euch beiden an der Theke müsste eigentlich drauf sein.“
„Ist sie auch. Ich hab mir die Bänder angesehen, bis ich irgendwann eingeschlafen bin dabei.“
Was ich nicht erwähne: Wie anders die Welt aus der Vogelperspektive einer Videokamera aussieht. Nicht genug, dass meine Glatze von da oben viel größer wirkt, als wenn ich sie im Spiegel betrachte. Es rückt auch alles näher zusammen. Natürlich weiß ich, dass das an dem Weitwinkelobjektiv liegt, das unsere kerzengerade Theke bogenförmig abbildet. Das Video zeigt mich in nächster Nähe zu Johannes Reichert, unsere aufgestützten Arme berühren einander beinahe. So, als führten wir ein inniges, vertrauliches Gespräch.
Dabei war er für mich doch nur ein Kunde wie zig andere.
Ich komme nicht mehr drauf, wonach ich Furat eigentlich fragen wollte. Es hatte irgendetwas mit dem zu tun, was wir bei der Teamsitzung besprochen haben. Gesellt sich zu
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