Jemand Anders
herumbohren?
„Machen wir Schluss“, entscheide ich. „Ich wünsche allen noch einen schönen Abend.“
Womit ich den Abend verbringen werde, weiß ich. Die zwei Kassetten in meiner Sakkotasche klappern, als ich den Sitzungsraum verlasse. Draußen fällt mir ein, dass ich etwas vergessen habe. Schon wieder vergessen.
„Sperrst du ab?“, rufe ich in Richtung Regina.
Sie verzieht spöttisch die Mundwinkel, hält den Schlüssel in die Höhe.
Längst erledigt, soll das heißen, wenn alle so langsam wären wie du …
0005.amr
Ich hätte ihn nie erkannt, hätte er mich nicht darauf angesprochen. Auf unsere gemeinsame Vergangenheit . Er war mir vom ersten Augenblick an unsympathisch, der Hundsfott schaut ihm aus den Augen. Und mir wurde ja bestätigt, was er für einer ist: ein Spekulant der miesesten Sorte, ein Kriegsgewinnler, dem keine Wirtschaftskrise etwas anhaben kann.
Kriege haben immer Saison …
Wie kann er es wagen, mir dieses Angebot zu machen, er selbst hat es ein unmoralisches genannt! Und woher weiß er überhaupt, dass ich finanziell in Schwierigkeiten stecke? Aber Typen wie er haben eben einen Riecher dafür, wie sonst könnten sie zu dem werden, was sie sind. Ich habe ihn gefragt, wie er sich meine Rolle bei dem Deal vorstellt. Das überlasse ich dir, Edgar, hat er gönnerhaft gegrinst, Hauptsache, sie kehrt zu mir zurück.
Die Blume auf den Misthaufen! Doch selbst dort erhält sie sich ihren Duft.
Unvorstellbar, dass eine wie sie mit einem wie ihm …
Nur schade, dass ich das Handy nicht dabeihatte, um sein tolles Offert mitzuschneiden; wer weiß, wozu so eine kleine Doku gut wäre. Nein, das passiert mir nicht noch einmal: Das nächste Mal bin ich vorbereitet darauf.
Der andere ist um keinen Deut besser. Ein Schmarotzer, der sich an den Goldesel dranhängt. Kunststück, wenn der Goldesel ein Schulfreund ist aus alten Tagen.
Ob die zwei damals, mit dreizehn, vierzehn, auch schon so waren? So berechnend, so verschlagen? Ich habe kein klares Bild mehr von ihnen als Buben. Weiß nur, dass ich sie einmal im Bett erwischt habe, die üblichen pubertären Spielchen halt, hatte nicht viel zu besagen.
Aber dass beide jetzt auftauchen müssen … Zufälle spielt das Leben!
Mitte März 2010
Furat stößt mich verstohlen an.
„Schau mal, wer wieder da ist!“
Er deutet auf eine schlanke, fast dürre Frau unbestimmten Alters. Vielleicht war sie früher einmal attraktiv; jetzt übersäen Hunderte von Fältchen ihr Gesicht. Und sie ist nicht der Typ, der davon profitiert.
„Ist das nicht …?“
„Richtig. Adele Bell, die Frau unseres ersten Verunglückten. Sie hat schon vor über einem Jahr bei uns angefangen, aber wieder aufgehört, als ihr Mann im Dezember eingestiegen ist. Kein Wunder, wenn du gesehen hast, wie der sich ihr gegenüber benommen hat.“
„Und jetzt, wo er tot ist, kommt sie wieder. Interessant.“
Ich beobachte, wie die Frau auf einen Crosswalker zusteuert und ihren Kopfhörer ansteckt. Jedes dieser neuen Geräte verfügt über einen eigenen Fernsehmonitor, purer Luxus, wie ich es sehe, aber Regina hat sich auch bei dieser Anschaffungsdebatte durchgesetzt, trotz der Finanzkrise, die auch vor dem New Life nicht haltgemacht hat.
Die Wandmonitore müssen endlich weg, Edgar! – Wozu, die sind doch erst vier Jahre alt. – Du kannst den Leuten nicht zumuten, auf eine ganze Batterie von Bildschirmen starren zu müssen, wo sie doch nur ihr jeweiliges Lieblingsprogramm anschauen wollen. – Was willst’: Es funktioniert alles tadellos, bei mir hat sich nie jemand beschwert! – Bei mir schon. Die einen wollen anspruchsvollere Kanäle, die anderen verlangen mehr Sport oder Soap. Wie soll man es mit lächerlichen sechs Monitoren allen recht machen? Auf den neuen Geräten kannst du das Fernsehprogramm deiner Wahl einstellen; wenn du nicht lieber Backgammon oder Four in a Row darauf spielst. Oder du kannst, wenn dir nach Ruhe ist, auch ganz auf das Geflimmer verzichten. Das nennt man moderne Dienstleistung, Edgar: auf die individuellen Bedürfnisse unserer Kunden einzugehen ...
Komisches Verständnis von individuell , dachte ich. Aber auch mir war nach Ruhe zumute, und so gab ich am Ende meinen Segen. Wieder einmal.
Adele Bell steppt gemächlich vor sich hin; sie scheint es gemütlich anzugehen und wirkt völlig entspannt bei ihrer Übung. Der Monitor ihres Crosswalkers ist schwarz. Offenbar hat sie die Kopfhörerstöpsel nur deswegen in den Ohren, um nichts von der dezenten
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