Jemand Anders
Musikbeschallung mitzukriegen.
Unsere Blicke kreuzen sich. Ich weiß nicht, was mich dazu veranlasst, ihr zuzunicken; vielleicht, weil ich mich irgendwie ertappt fühle. Es gehört sich nicht, eine Dame anzustarren, schon gar nicht, wenn sie trieft vor Schweiß.
Sie nickt zurück. Mit ernster Miene, aber es wirkt wie eine Einladung.
Wenn ich über etwas wirklich Bescheid weiß, dann über die unausgesprochenen Regeln in einem Fitnessstudio. Über die Jahre hin habe ich begriffen: Die Muster hier herinnen spiegeln nicht nur jene wider, die draußen gelten, sondern verdichten sie in hoch konzentrierter Form. Wie sich Hinz und Kunz, egal, welcher Herkunft, im Fitnessstudio aufführen, drückt eins zu eins ihren Charakter aus. Der Albert zum Beispiel, der das Abdominal Crunch mit frecher Selbstverständlichkeit für andere sperrt, indem er sein Handtuch darüberbreitet, als wär’s sein Eigentum. Dabei hat er eben einen ausgedehnten Tratsch begonnen und wird das Gerät in der nächsten Viertelstunde sicher nicht nutzen. Der Josef hingegen zuckt verschüchtert zurück, sobald einer nur nervös mit dem Handtuch wedelt: Aber bitte, gehen Sie doch vor, ich hab eh Zeit!
Oder der Bruno, unser Obermacker. Fünfunddreißig, ledig, mit goldenem Flinserl im Ohr und selbst auf dem Laufband ständig auf Aufriss. So wie er die Mädels mit seinen Blicken auszieht, ist es kein Wunder, dass sie lieber demonstrativ in einer Zeitschrift blättern, während sie ihre Kilometer herunterspulen, oder mit steinerner Miene einen Punkt fixieren am imaginären Horizont. Da behandelt der Baumeister Hofer seine Holde ganz anders, nämlich wie eine Vollidiotin, wenn er ihr schon zum dritten Mal lautstark erklärt, wie das Ruder-Ergometer funktioniert. Dass er sie erst gar nicht an Hanteln und Gewichte ranlässt, passt ins Bild: Die Kraftabteilung ist nun einmal das letzte Reservat für harte Männer in einer Welt der Frauenquoten. Hier dominieren schiere Muskelmasse und bärige Bulligkeit, Waschbrettbauch und Solariumbräune; wobei sich die Oberbullen bisweilen rührend um die noch unerfahrenen Jungbullen kümmern, routinierte Haudegen um grüne Spunde, ohne jegliche Hintergedanken. Woher auch solche nehmen, wenn sich doch alles Denken nur um einen schnellen Muskelzuwachs dreht, um Bi-, Tri- und Quadrizepse.
Selbst ob einer sein Gerät reinigt oder nicht, ist aussagekräftig: Während pedantische Gemüter die Griffe des Ergometers in Reinigungsspray ertränken, scheren sich die superlässigen Sonnyboys einen Deut darum, wie viel Schweiß sie absondern. Schließlich lässt sich damit eine eigene Duftmarke setzen. Den sportlicheren Typen kann ihre synthetische Haut gar nicht eng genug sein; damit nur ja niemand übersieht, was sich darunter befindet. Die weniger Wohlproportionierten bevorzugen Trainingsanzüge in Übergröße, um ihre Speckringe zu kaschieren. Last, not least der höchst unterschiedliche Umgang mit dem vom Trainer oder Therapeuten verordneten Fitnessprogramm: Mit Tabelle und Bleistift bewaffnet haken die Neuen nach jeder Übung brav ab, was ihnen an Minuten, Gewicht, Anzahl und Wiederholungen aufgegeben wurde; die alten Hasen verzichten nicht nur darauf, sondern bedenken die Tabellenträger auch noch mit einem abfälligen Grinsen.
Locker, natürlich, verklemmt – nirgends sonst kommt eine Haltung auf engem Raum so ungeschminkt zur Geltung. Wenn die gestählten Figuren sich nach vollbrachtem Werk nackt vor dem Spiegel föhnen und sich dazu im Schritt kratzen, wollen sie doch betrachtet, ja, bewundert werden. Trau dich nur, sagen ihre Blicke, sieh dich nur satt an meinem perfekten Body! Ich gehöre nicht zu den verdrückten Warmduschern, die das Badetuch mit in die Duschkabine nehmen. Die nichts mehr fürchten, als dass ein abschätziger Blick sie streift.
Ja, ein wahrer Minimundus ist das New Life! Wer hier hereinspaziert, gibt nichts von Bedeutung ab an der Garderobe. Die Essenz, der Sinn, das Wesen deines ganzen Lebens rennt, radelt, rudert, strampelt und stemmt mit dir mit, wie ein prall gefüllter, unsichtbarer Rucksack.
*
Adele Bell steigt mit einer solchen Eleganz vom Crosstrainer, als hätte sie eigens dafür geübt.
„Schön, dass Sie wieder bei uns sind“, höre ich mich sagen.
„Ja“, sagt sie. „Es tut gut. Und ich habe es, weiß Gott, vermisst.“ Sie stößt die Luft aus und lässt ihre Schultern kreisen.
Ich bin mir nicht sicher, wie ich das Gespräch fortsetzen soll.
„Es tut mir sehr leid, das mit
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