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Jemand Anders

Jemand Anders

Titel: Jemand Anders Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Kabelka
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Ihrem Mann. Ich weiß nicht, ob ich Ihnen schon mein Beileid ausgedrückt habe.“
    Ihr Nicken signalisiert, dass sie die verspätete Beileidsbekundung zur Kenntnis nimmt.
    „Sie waren ja selbst eine Weile außer Gefecht, wie man hört.“
    „Tja“, murmle ich, „böse Sache. Zuerst Intensivstation, dann ein paar Wochen Reha.“
    Ich tippe mir mit dem Zeigefinger an die Stirn, lasse die Hand aber schnell wieder sinken. Das muss ja aussehen, als wollte ich ihr den Vogel zeigen.
    „Aber jetzt sind Sie wieder ganz hergestellt?“
    „So halbwegs.“
    Ich spüre, wie mir das Lächeln misslingt. Worauf will sie hinaus?
    Adele Bell legt den Kopf schief. „Ich habe Sie nämlich nicht beim Begräbnis von Otto gesehen. Waren Sie zu der Zeit bereits im Spital?“
    Das Begräbnis ihres Mannes … Ich habe nicht den Hauch einer Ahnung, ob ich daran teilgenommen habe, niemand hat mit mir darüber geredet. Es muss ja zwei Begräbnisse innerhalb kürzester Zeit gegeben haben. Beim ersten sollte ich als Chef des Studios, in dem Bell zu Tode kam, eigentlich dabei gewesen sein. Schließlich passierte mein Unfall erst nach seiner Bestattung.
    Zumeist ist der einzig sinnvolle Handlungsmodus in einer Dilemmasituation jener, der dich zuvor schlichtweg sinnlos dünkt.
    Der Satz fällt mir ein, ohne dass ich wüsste, wo ich ihn aufgeschnappt habe. Ob er irgendetwas mit meiner Ausrede zu tun hat? Seltsam sind sie verschaltet, meine grauen Zellen!
    „Ich war nicht dabei, weil ich Begräbnisse nicht so gut verkrafte.“
    Ihre Augenbrauen heben und senken sich. Oder ist es nur ihre Stirn, die sich in Runzeln legt, und das seltsame Mäandrieren der Brauen ein bloßer Sekundäreffekt?
    „Sie müssen sich nicht entschuldigen und auch keine Entschuldigungen erfinden. Ich habe Sie nicht wirklich vermisst, Herr Moser.“
    Das ist nun ein Satz, wie man ihn in seiner Klarheit selten zu hören bekommt. Und Adele Bell setzt noch eins drauf.
    „Sie nicht und auch sonst keinen. Wenn es Sie beruhigt: Es wäre mir vollkommen gleichgültig gewesen, wenn überhaupt niemand gekommen wäre. Wer, glauben Sie denn, hat Otto Bell auch nur eine Träne nachgeweint?“
    Der diskrete Charme der Bourgeoisie, denke ich, viel ehrlicher geht’s dann wohl nicht mehr. Ihre Offenheit verleitet mich zu einer ebensolchen.
    „Gehe ich recht in der Annahme, dass der Tod Ihres Gatten Sie nicht sonderlich deprimiert hat?“
    „Sie gehen“, antwortet sie mit einer luftigen Gebärde und bringt ihren Mund so nahe an mein Ohr, dass niemand außer mir ihre Worte hören kann. „Mein verblichener Gatte war ein – mit Verlaub – absolutes Arschloch.“
    Ihre Worte zischen in meinem Gehörgang. Ich recke den Unterkiefer nach oben. Frau A und Herr O: Das A und O der wahren Liebe hat man sich wohl ein bisserl anders vorzustellen. Auch wenn ich keinerlei praktische Erfahrung mit der Ehe habe, so beginne ich doch zu erahnen, welch abgrundtiefer Morast sich im Hause Bell im Verlauf von Dezennien angesammelt haben muss. Soll ich ihr sagen, dass es mir leidtut? Dass ich sie bedaure? Aber Adele Bell vermittelt nicht den Eindruck, als ob sie getröstet werden müsste.
    „Entschuldigen Sie“, lächelt sie verbindlich, „aber wenn Sie nichts dagegen haben, würde ich jetzt gerne mein Workout fortsetzen. Ich möchte nicht auskühlen.“
    „Selbstverständlich, gnä’ Frau.“ Ich mache einen Schritt zur Seite.
    Sie steuert auf die Beinpresse zu und breitet ihr Handtuch über die Rückenlehne. Unvermittelt dreht sie sich noch einmal um zu mir.
    „Wissen Sie, wie lange ich gebraucht habe, um Otto davon zu überzeugen, auch ins Studio zu gehen? Ein volles Jahr.“
    „Und warum?“
    „Geiz, Herr Moser, Geiz! Eine nicht zu unterschätzende Quelle der Kraft, das haben die Werbefachleute längst erkannt. Er hätte sich wahrscheinlich schon viel früher umgebracht mit seinem Fressen und Saufen und Nichtstun, mein lieber Otto. Wenn er nicht so geizig gewesen wäre. Zufleiß nicht , hat er gesagt, ich werde doch denen nicht die Freude machen, dass sie sich die Pension für mich ersparen können! Da beiß ich mich lieber noch ein bisserl durch. Am Ende hat er denen da oben doch noch eine Freude gemacht, wenn auch unabsichtlich. Und, wenn Sie’s genau wissen wollen, mir auch!“
    Ich ringe mir ein Lächeln ab, lasse sie alleine zurück an der Beinpresse.
    Dass eine Frau ihren Mann so hassen kann, gibt mir zu denken.
    Wie habe ich Bell in Erinnerung? Ein kleiner untersetzter Typ, schwammig

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