Jemand Anders
Hure genannt, aus dem Gefühl der Ohnmacht heraus, sie nicht befriedigen zu können? Aber sie hat doch gesagt, dass es dazu gar nicht gekommen ist? Und wie hätte ich neben Regina auch noch Iris betrügen sollen in der kurzen Zeit?
Ihr Atem geht schwer.
„Dein verdammtes Handy! Als ich schließlich bemerkte, dass du damit unser Gespräch aufzeichnest, hätte ich dich am liebsten angespuckt. Und du hast es auch noch abgestritten! Wie kann man das Offensichtliche bestreiten! Hast behauptet, du hättest den Aufnahmeknopf unabsichtlich gedrückt. Weißt du, wie ich mir vorgekommen bin? Wie eine, der der Geheimdienst im Genick sitzt: abgehört, ausspioniert. Du fühlst dich hilflos und missbraucht, und dazu noch unendlich dumm! Ich hätte mich ohrfeigen können für meine Naivität!“
Einen Moment hält sie inne. Die Sammlung aller Kräfte vor dem entscheidenden Sturmangriff.
„Ich wüsste gerne, ob du das auch schon vorher gemacht hast. Hast du ein Archiv angelegt, um mich im Fall des Falles damit erpressen zu können? Aber selbst, wenn es das erste und einzige Mal gewesen sein sollte: Dieses eine Mal war schon zu viel, viel zu viel.“
Ich vermeine ein Schluchzen zu hören.
„Was hast du dir nur dabei gedacht, Edgar? Was?“
Ja, was habe ich mir nur gedacht dabei? Was treibt einen dazu, zärtliches Liebesgeflüster heimlich mitzuschneiden?
Geht es um das Konservieren des nicht Konservierbaren?
Um den alten, beschissenen Ewigkeitsanspruch?
Das kann nicht ich gewesen sein, schreit es in mir. Aber gleichzeitig sagt mir der Rest meines Verstandes, dass es genau so abgelaufen ist. Dass auch ich ein widerlicher Handyman war, wie Johannes Reichert. Ich trage die Verantwortung für etwas, von dem mein Hirn nichts weiß. Das ist so schwer zu akzeptieren wie die Geschichte mit der Erbsünde: Was können wir dafür, was Adam und Eva angestellt haben? Und trotzdem büßen wir für ihr Vergehen, wenn es überhaupt eines war. Es ist ein bitteres, ein ungerechtes Erbe, das keiner zurückweisen kann.
Du kannst höchstens lernen, damit zu leben.
0016.amr
„Ich pack’s nicht: Dass wir drei uns noch einmal über den Weg laufen – irr!“
„Und vor allem wo! In einem Fitnesscenter. Und wem gehört’s? Unserem alten Präfekten Fidelis, ausgerechnet! Wenn mir das einer prophezeit hätt’ vor fünfunddreißig Jahren …“
„Von wegen alt! Er war doch dazumal der jüngste von allen Patres! Unser Fidelis.“
„Ich hab schon einmal gesagt, dass ich nicht so genannt werden möchte!“
„’tschuldige, Edgar, kommt nicht mehr vor. Wie auch immer: Nach so langer Zeit noch so im Saft – Respekt! Kannst dir ein Beispiel an ihm nehmen, Otto. Du bist gut zehn Jahre jünger und schon ein Frühpensionist mit Wampe.“
„Ist wahrscheinlich immer zu Fuß unterwegs, der Edgar, genau wie der Heilige Franzl. Da bleibst natürlich fit.“
Gelächter .
„Das gibt’s doch nicht, hab ich zum Otto gesagt. Erst wir zwei, und dann noch er! Was für ein Wiedersehn! Das nenn ich Kismet.“
„Fügung.“
„Hä?“
„Fügung, so heißt das bei uns. Kismet sagen die Tschuschen und Türken.“
„Einigen wir uns auf Schicksal, okay? Was meinst du, Edgar? Bist ja ein Fachmann für solche Fragen. Zumindest gewesen.“
Stille.
„Redest nimmer viel, was? Früher warst nicht so ein Braunschweiger. Weißt eh: Braune Kutte und nix reden – gibt in Summe einen Braunschweiger, haha. Der alte Pater Xaver war so einer, von dem hast nie was gehört. Das wandelnde Schweigegelübde. Dass sich ausgerechnet der was antut, wo er eh schon halb hinüber war … Na ja, stille Wasser sind tief. Man hat es natürlich verheimlichen wollen vor uns, aber so etwas kannst nicht vertuschen. Aufg’hängt soll er sich haben, mit seiner eigenen Kuttenkordel. Stimmt’s, Edgar?“
„Ja. Mit dem Zingulum.“
„Genau, mit dem Dingsbums. Und gleich einmal nach seinem Begräbnis warst du auch verschwunden. Ein doppelter Verlust, hat der Pater Rektor gesagt. Na ja, da waren’s nur noch vier. Vier Patres auf fast hundertfünfzig Buben – klar, dass es da Disziplin braucht! Wenn wir im Konvikt was gelernt haben, dann Disziplin und Härte, stimmt’s, Otto? Im Vergleich dazu war die Grundausbildung beim Bundesheer ein Spaziergang. Selbst das Essen beim Militär: die reinste Nouvelle Cuisine gegenüber dem Fraß, den wir vom Konvikt her gewöhnt waren.“
„Wie hat jetzt schnell der Große geheißen, der Athletische? Weißt eh, wen ich mein’: der immer
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