Jenseits Der Schatten
diese zu erfüllen. Ihre Art des Verrats war beiläufig, weil sie kaum einen Gedanken darauf verschwendete. Wäre sie als Müllerstochter zur Welt gekommen, hätte sich der Schaden, den sie gestiftet hätte, auf verschmähte Liebhaber und betrogene Kunden beschränkt.
»Ich dachte, Logan und Rimbold hätten mir alles über Euch erzählt, Kylar Drake, aber sie hätten mich warnen können, wie attraktiv Ihr seid«, sagte Terah und ließ weiße Zähne auf blitzen, die Kylar an einen Hai erinnerten.
Aus irgendeinem Grund verstörte die Bemerkung Kylar. Er hatte sein Aussehen immer für überaus durchschnittlich gehalten, aber als er in Terahs Augen blickte, wusste er, dass sie meinte, was sie sagte, auch wenn sie es laut sagte, um ihm zu schmeicheln. Er blinzelte und begann zu erröten, und was immer es war, das ihn dazu brachte, in Terah hineinzuschauen, geriet ins Stocken und verschwand. Sie kicherte, und es war ein leises, besitzergreifendes Geräusch.
»Und so schöne Augen«, fuhr sie fort. »Ihr habt Augen, die eine Frau auf die Idee bringen, Ihr könntet direkt durch sie hindurchblicken.«
»Das kann ich auch«, erwiderte er.
»Ist das der Grund, warum Ihr errötet?«
Darauf errötete er natürlich noch heftiger. Er sah zu Terahs Hofdamen hinüber. Sie hatten sich zurückfallen lassen. Anscheinend wussten sie Bescheid: Wenn Terah sich einem Mann näherte, wünschte sie, dies allein zu tun, aber die Damen lachten hübsch, zweifellos auf seine Kosten. Er erhaschte einen flüchtigen Blick auf eine von ihnen, die keinen Gefallen an den Bemerkungen zu finden schien, aber dann verlor er sie aus den Augen.
»Sagt mir, Marquess, was seht Ihr, wenn Ihr mir in die Augen blickt?«, wollte Terah wissen.
»Es wäre höchst indiskret von mir, diese Frage zu beantworten, Euer Hoheit«, sagte Kylar.
Einen Moment lang trat ein hungriger Ausdruck in ihre Augen. »Marquess«, sagte sie ernst, »ein Mann riskiert seine Zunge, wenn er indiskret zu einer Königin spricht.«
»Zungen sollten benutzt werden, um Indiskretionen zu begehen, nicht um sie zu erörtern.«
Terah Graesin schnappte nach Luft. »Marquess! Wenn Ihr so weitermacht, werde ich noch erröten.«
»Es wäre mir ein Vergnügen, Euer Hoheit auf die Probe zu stellen.«
Sie riss die Augen auf, dann heuchelte sie Gelassenheit. »Marquess Drake, ich halte es für meine Pflicht, die Edelleute zu kennen, die mir dienen. Ihr werdet mir in meinen Gemächern aufwarten.«
»Ja, Euer Hoheit.«
Ihre Stimme wurde weicher. »Wartet zehn Minuten. Die Wachen werden Euch durch die Tür lassen. Ich erwarte Eure … Diskretion.« Er nickte grinsend, und sie hielt inne. »Sind wir uns schon einmal begegnet? Irgendetwas an Euch kommt mir so vertraut vor.«
»Wir sind uns tatsächlich einmal begegnet.« Während des Staatsstreichs und der Invasion. »Es tut mir leid, dass ich keinen bleibenderen Eindruck auf Euch gemacht habe.« Sechs Zoll tief in dein Herz hinein wären ungefähr richtig gewesen.
»Nun, das werden wir korrigieren.«
»In der Tat.«
Sie schlüpfte davon, und Kylar sah Lantano Garuwashi, der fünfzehn Schritte entfernt stand und ihn anstarrte. Kylars Kehle schnürte sich zu, aber obwohl er nicht erfreut wirkte, kam Garuwashi nicht in seine Richtung. Kylar sah sich mit leerem Blick im Raum um und vergaß, warum er überhaupt hierhergekommen war. Ein Mädchen löste sich aus Terah Graesins Kreis und flüsterte den Wachen an einer der Türen etwas zu. Sie drehte sich um. Sein Blick erfasste die großen Augen, das perfekt frisierte Haar, die klare Haut, die vollen Lippen, die schmale Taille und die schlanken, festen Kurven. Es war Ilena Drake. Sie war eine der Hofdamen der Königin. Kylar verspürte ein Gefühl, als sei ihm die zeitliche Orientierung abhandengekommen. Er hatte gerade den Blick von einem kleinen Mädchen
abgewandt, und an ihrer Stelle stand nun eine Frau. Ilena Drake war atemberaubend. Während sie die Wachen auf ihn aufmerksam machte, um ihnen zu sagen, dass sie ihn durchlassen sollten, damit er mit der Königin sprechen könne, trafen sich plötzlich ihre Blicke. Ihr Gesicht war eine Maske der Enttäuschung und des Abscheus.
Sie glaubte, sie würde benutzt, um ihrem großen Bruder zu helfen, Elene, ihre Freundin, zu betrügen. Sie glaubte, er sei ein Marquess geworden und so verzückt von dem Gedanken, mit einer Königin das Bett zu teilen, dass er alles andere einfach hinter sich ließ. Schlimmer als der Ärger war die unendliche
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