Jenseits der Sehnsucht (German Edition)
sie so viel. Er zeichnete alles auf, soweit möglich, und was er nicht aufzeichnete, verstaute er sorgsam in seinem Gedächtnis. Er hatte nicht vor, irgendetwas zu vergessen. Keinen einzigen Moment.
Und doch sorgte er sich darum, wie er es ihr beibringen sollte. Wenn es Zeit war für ihn zu gehen, wollte er sie so wenig wie möglich verletzen. Außerdem machte es ihm zusätzliche Sorgen, woher er den Mut finden sollte, sein Leben ohne sie weiterzuleben.
Wenn sie zu der Hütte zurückkehrten, wäre das auch der Anfang vom Ende. Wenn es zu einem Ende kommen musste – und er sah keine Alternative –, sollte es ein ehrliches Ende sein. Er würde ihr alles sagen.
»Du bist so schweigsam.« Sunny lenkte den Wagen auf den holprigen Weg, der zur Hütte führte.
»Ich denke nach.«
»Dagegen ist ja nichts einzuwenden. Aber wir haben uns seit vollen fünf Stunden über nichts mehr gestritten. Ich mache mir Sorgen um dich.«
»Ich will mich nicht mit dir streiten.«
»Also, jetzt mache ich mir ernstliche Gedanken.« Sie hatte die ganze Zeit geahnt, dass ihn etwas beschäftigte. Etwas, das ihre Handfläche feucht werden ließ. Deshalb hielt sie ihre Stimme bewusst munter. »In ein paar Minuten sind wir da. Wenn du erst wieder in der Hütte eingeschlossen bist und Feuerholz herumwuchten musst, wirst du sicher wieder zu deinem brummigen Selbst.«
»Sunny, wir müssen reden.«
Sie befeuchtete ihre Lippen. Ihre Nerven waren zum Zerreißen gespannt, als sie den Wagen vor der Hütte zum Stehen brachte. »Vor oder nach dem Ausladen?«
»Jetzt.« Es musste jetzt sein. Jacob nahm ihre Hand und sprach die ersten Worte, die ihm einfielen. »Sunny, ich liebe dich.«
Der eiserne Griff um ihren Magen lockerte sich ein wenig. »Jacob, wenn du weiter so redest, werden wir uns nie wieder streiten.« Als sie sich vorlehnte, um ihm einen Kuss auf die Wange zu geben, sah sie den Rauch, der aus dem Kamin aufstieg. »Jacob, in der Hütte ist jemand.« Da ging auch schon die Tür auf. »Libby!«
Lachend stieß sie die Wagentür auf und sprang hinaus. »Libby, du hast mir einen Riesenschreck eingejagt.« Jacob sah zu, wie Sunny die Arme um eine schlanke Brünette warf. »Sieh dich nur an, wie braun du bist!«
»Auf Bora Bora scheint eben ständig die Sonne.« Libby küsste ihrer Schwester die Wangen. »Als wir gestern Abend zurückkamen und dich nicht vorfanden, dachten wir schon, du hättest uns versetzt.«
»Nur ein kurzer Trip zurück in die Zivilisation, um die Batterien aufzuladen.«
Libby lachte herzlich. Sie kannte ihre Schwester. »Das habe ich Cal auch gesagt. Schließlich sind noch alle deine Bücher hier.« Dann ergriff sie Sunnys Hände. »Oh, Sunny, ich bin so froh, dass du hier bist. Ich kann es gar nicht erwarten, ich muss dir unbedingt etwas erzählen … Oh.« Eine Bewegung hatte ihre Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Sie wandte den Blick und sah Jacob aus dem Geländewagen klettern. Ihre Augen trafen sich, und Libbys Lächeln erstarb, ihre Finger umklammerten Sunnys Hände fester.
»Was denn? Was ist? Ach so.« Lächelnd drehte sich Sunny um. »Rate mal, wer zu Besuch gekommen ist. Das ist Jacob, Cals Bruder.«
»Ja, ich weiß.« Libby hatte das Gefühl, als würde der Boden unter ihren Füßen schwanken. Sie hatte Jacob auf den Fotos gesehen, die Cal auf seinem Schiff hatte. Aber das hier war ein Mann aus Fleisch und Blut. Einer, der wütend war. Und während sie einander stumm anstarrten, merkte sie, wie ihr das Blut aus den Wangen wich.
Er ist wegen Cal gekommen, schoss es ihr durch den Kopf, und sie hatte Mühe, den lauten Protestschrei zurückzuhalten.
Sie stirbt halb vor Angst, wurde Jacob bewusst. Etwas in ihm regte sich, was er jedoch stur ignorierte. Nein, er würde sich kein Mitgefühl erlauben. Er würde diese Frau nur als Hindernis ansehen, das ihm im Weg stand, um seinen Bruder nach Hause zurückzuholen.
»J. T.?« Instinktiv legte Sunny ihrer Schwester beschützend den Arm um die Schultern. Irgendetwas ging hier vor, aber sie war die Einzige, der man dieses Geheimnis nicht mitgeteilt hatte. »Libby, du zitterst ja. Komm, lass uns hineingehen, du solltest nicht ohne Jacke hier draußen in der Kälte stehen.« Sie warf Jacob einen Blick zu. »Wir gehen alle hinein.«
»Es geht schon.« Drinnen ging Libby zum brennenden Kaminfeuer und hielt ihre eiskalten Hände über die Flammen. Doch ihr Herz würde keine Wärme erlösen können. Sie würde Jacob nicht mehr ansehen, nicht, bis sie sicher sein konnte,
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