Jenseits der Sehnsucht (German Edition)
sich unter Kontrolle zu haben. Irgendwo, ganz hinten in ihrem Kopf, hatte sie immer die Angst sitzen gehabt. Irgendwann würden sie nach Cal suchen. Nur hatte Libby nie geglaubt, dass es so schnell sein würde. Sie hatten doch nur so wenig Zeit gehabt.
Zeit. Ein Wort, das Libby langsam zu hassen begann.
Sunny stand völlig verwirrt zwischen den beiden. Die Luft in dem Raum war so mit Spannung angefüllt, man hätte sie schneiden können. »Also gut.« Sie sah von Libbys steifem Rücken zu Jacobs versteinerter Miene und hatte keine Ahnung, was sie tun sollte. »Möchte irgendeiner von euch beiden mich vielleicht aufklären?«
»He, Libby, wenn das da draußen gerade deine sexy Schwester war, dann …«
Barfuß und mit einem viel zu weiten Sweatshirt kam Cal aus der Küche in den Wohnraum. Jeder drehte sich zu ihm um. Es war wie ein synchrones Ballett in Zeitlupe. Cals Grinsen erstarrte, niemand rührte sich.
»J. T.« Seine Stimme war nicht mehr als ein Flüstern, halb ungläubig, halb überglücklich. »J. T.«, sagte er noch einmal, und dann rannte er durch den Raum und umklammerte seinen Bruder in einer ergriffenen Umarmung. »Mein Gott, Jacob, du bist wirklich hier!«
Libby beobachtete die Szene mit tränenblinden Augen, dann wandte sie sich stumm ab. Sunny dagegen strahlte. Die beiden Brüder hielten sich so fest. Sie sah die Emotionen über Jacobs Gesicht huschen und fand es einfach wunderbar.
»Ich kann es nicht fassen«, murmelte Cal und hielt seinen Bruder von sich ab, um ihn genau zu mustern. »Wie hast du es geschafft?«
Jacob ließ seine Hände auf Cals Armen liegen. Er brauchte den Kontakt einfach. »Genauso wie du, nur mit etwas mehr Finesse. Du siehst gut aus.« Er hatte erwartet, den Bruder bleich und ausgemergelt vorzufinden, völlig ausgelaugt von der Aufgabe, sich im zwanzigsten Jahrhundert zurechtzufinden. Aber Cal war braun gebrannt, munter und ganz offensichtlich glücklich.
»Du auch.« Cals Lächeln wurde etwas schwächer. »Was ist mit Mom und Dad?«
»Denen geht es gut.«
Cal nickte. Das war ein Schmerz, mit dem er zu leben gelernt hatte. »Du hast meine Nachricht also bekommen. Ich konnte nicht sicher sein.«
»Ja, sie ist angekommen.«
»Und Libby hast du auch schon kennengelernt.« Der Anflug von Trauer schwand, als er die Hand nach seiner Frau ausstreckte. Libby rührte sich nicht.
»Ja, wir haben uns gesehen.« Jacob verbeugte sich knapp und wartete. Sie konnte den ersten Schritt machen, wenn sie wollte.
»Ihr beide werdet sicher viel zu bereden haben.« Libby sammelte all ihre Kraft zusammen, um diese Worte überhaupt über die Lippen zu bringen.
»Libby.« Cal ging zu ihr hinüber und legte ihr eine Hand auf die Wange, bis sie zu ihm aufsah. Er erkannte die Liebe und die Angst in ihrem Blick. »Nicht.«
»Ich bin in Ordnung.« Sie raffte mehr Kraft zusammen und drückte seine Hand. »Ich muss oben noch etwas erledigen. Ihr zwei könnt euch in Ruhe unterhalten.« Sie blickte zu Jacob. »Ich weiß, wie sehr ihr euch vermisst habt.« Damit drehte sie sich um und floh die Treppe hinauf.
Sunny sah ihrer Schwester nach und blickte dann von Cals ernstem Gesicht zu Jacobs vor Wut blitzenden Augen. »Kann mir mal einer sagen, was, zum Teufel, hier eigentlich los ist?«
»Kannst du zu ihr hochgehen?« Cal legte Sunny eine Hand auf die Schulter, ohne jedoch den Blick von der jetzt leeren Treppe zu nehmen. »Ich möchte nicht, dass sie allein ist.«
»Ja, gut.« Es war nur allzu klar, dass sie im Moment von den beiden keine Erklärung zu erwarten hatte. Aber von Libby würde sie sich eine holen.
Cal wartete, bis Sunny über die Treppe nach oben verschwunden war. Als er sich zu seinem Bruder umdrehte, erkannte er die Wut, die Erregung und den Schmerz in dessen Miene. »Wir müssen reden.«
»Ja, du hast recht.«
»Nicht hier.« Cal dachte an seine Frau.
»Gehen wir auf mein Schiff.« Jacob dachte an Sunny.
Vor dem Schlafzimmer hielt Sunny inne. Sie atmete erst einmal tief durch, bevor sie die Tür aufschob. Libby saß mit verschränkten Händen auf der Bettkante. Keine Tränen. Aber Tränen wären nicht so herzzerreißend gewesen wie die Verzweiflung, die sich auf ihrem Gesicht widerspiegelte.
»Liebes, was ist los?«
Libby kam sich vor wie in einem Traum. Sie blickte auf und versuchte, sich auf die Realität ihrer Schwester zu konzentrieren. »Wie lange ist er schon hier?«
»Ungefähr drei Wochen.« Sunny setzte sich neben ihre Schwester und nahm deren Hand. »Rede mit
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