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Jenseits der Untiefen

Jenseits der Untiefen

Titel: Jenseits der Untiefen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Favel Parrett
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schaukelte das Wasser, es zog und zerrte, bis sich einem der Magen umdrehte und die Augen nach hinten rollten und es sich anfühlte, als würde man sterben.
    »Ich kann nicht.«
    Harry versuchte zu lächeln, aber es gelang ihm nicht. Nicht wirklich. Er konnte George nicht ansehen.
    Als er sich damals, bei seinem ersten Mal, so heftig an die Reling von Dads Boot geklammert hatte, dass er seine Finger und Knöchel und selbst die Arme nicht mehr spüren konnte, und die kalte Gischt ihm ins Gesicht geschnitten hatte wie Brennnesseln, hatte Onkel Nick ihm gesagt, er solle sich auf den Horizont konzentrieren. Und er hatte es versucht. Aber das Boot schwankte weiter auf und ab, und alles war grau – Himmel und Wasser genau gleich –, und er hatte sich über seinen ganzen Pullover erbrochen.
    »Ich glaube, aus dir wird nie ein Fischer, Harry«, hatte Onkel Nick gesagt. Und alle hatten gelacht. Sogar Miles.
    »Aus mir wird nie ein Fischer«, sagte Harry, aber es klang schrill und quietschend, und er musste sich räuspern und sagte es noch einmal.
    George stand auf und kletterte zurück auf den Steg. Er begann, Angelschnur, Angelkasten und Eimer auszuladen. Jake sprang aus dem Boot.
    »Fährst du nicht?«
    George zuckte mit den Schultern und lächelte. Er setzte sich mit Jake an seiner Seite ans Ende des Stegs.
    Harry machte einen Schritt auf den grauen knarrenden Brettern. Dann noch einen. Als er ans Ende kam, setzte er sich neben George.
    »’tschuldige«, sagte er.
    Aber George war beschäftigt. Er schraubte eine der Angelruten zusammen und befestigte die Schnur. Er öffnete den Angelkasten und nahm einen Köder in knalligem Gelb-Orange und einen silberglänzenden Angelhaken heraus.
    »Plattköpfe«, sagte er und gab Harry die Angel.
    »Ich kann nicht … Ich weiß nicht, was man machen muss.«
    George griff nach der Angel, warf sie mit einer schnellen Handbewegung aus und gab sie Harry zurück.
    Harry wollte Georges Angel nicht verlieren oder zerbrechen oder irgendetwas Peinliches machen, also packte er mit beiden Händen fest den Griff und schob das Ende sicherheitshalber zwischen seine Beine. Niemand hatte ihn je zum Angeln mitgenommen. Noch nicht einmal Großvater oder Joe. Er hatte Leute beim Angeln gesehen – Kinder auf der Mole in Dover oder Southport, Männer, die im Morgengrauen oder bei Sonnenuntergang vom Strand aus in der Brandung angelten, in Roaring –, aber er selbst konnte es nicht. Er wusste, er war dazu nicht in der Lage. George summte vor sich hin, während er eine neue Angelschnur fertig machte. Es war eine leise Melodie, eine Art Gesang ohne Worte.
    Vielleicht würde an seinem Haken nichts anbeißen, dachte Harry, und er konnte einfach nur dasitzen und so tun, als würde er angeln. Das wäre das Beste, was passieren konnte. Und er wiederholte die Worte stumm im Kopf: Bitte, ihr Fische, bleibt weg. Bleibt weg von meinem Köder, all ihr Fische, und vom silbernen Haken.
    Jake schob seinen Kopf zwischen ihnen beiden hindurch, legte seine kalte, nasse Nase an Harrys Wange, schnaubte und sah sich um. Dann war er wieder unterwegs, um das Unkraut am Fluss zu beschnüffeln. Harry wusste, dass Jake sich den ganzen Tag allein vergnügen konnte, solange George in seiner Nähe war. Er konnte frei sein, solange George die Lage unter Kontrolle behielt.
    George machte es sich neben Harry gemütlich; die Schnur seiner Angel ausgeworfen, summte er immer noch leise vor sich hin, und die Wolken zogen am Himmel entlang. Eine Brise kam vom Meer, aber sie war nicht kalt. Nicht böig. Harry lehnte sich zurück, er entspannte sich, seine Hände waren jetzt ruhig, hielten die Angel locker. Und er dachte, okay. So ist es okay.
    Und fast wäre er vom Steg gefallen. Seine Spule begann sich abzurollen, die Schnur verschwand vor seinen Augen, die Angel rutschte ihm aus den Händen. Aber Georges Hände waren schnell, sie waren sofort da, um zuzugreifen. George blockierte die Spule. Die Schnur wurde langsamer, die Angel bog sich bis zum Wasser hinunter. Und Harry stellte fest, dass eine seiner Hände wieder auf der Spule lag, direkt auf Georges Hand, und dann hielt er den Griff der Spule ganz allein, hielt ihn fest. Er war es, der die Schnur mit langsamen Drehungen der Spule einholte. Es musste ein großer Fisch sein, denn er zerrte kräftig an der Schnur.
    Jake war wieder da. Er hielt den Blick gespannt aufs Wasser gerichtet und wartete nur darauf, dass dieser Fisch endlich auftauchte. Er jaulte, bereit zu bellen, bereit, ins

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