Jenseits des Bösen
Schreie gehört. Ich glaube, sie haben da unten gebetet, Tesla.
Gebetet. Und dann dieser verdammte Geysir. Wasser, Rauch, Dreck. Leichen. Und noch etwas. Nein: zweimal noch etwas.
Kam heimlich aus der Erde heraus.«
»Geklettert?«
»Geflogen.«
Tesla sah ihn lange und durchdringend an.
»Ich schwöre es, Tesla«, sagte Grillo. »Vielleicht waren es Menschen... vielleicht nicht. Sie schienen mehr wie... ich weiß auch nicht... mehr wie Energie zu sein. Und bevor du fragst, ich war clean und nüchtern.«
»Warst du der einzige, der sie gesehen hat?«
»Nein, ein Mann namens Hotchkiss war bei mir. Ich glaube, er hat sie auch gesehen. Aber er geht nicht ans Telefon, um es zu bestätigen.«
»Ist dir klar, daß du dich wie reif fürs Irrenhaus anhörst?«
»Das bestätigt doch nur, was du immer gedacht hast, oder nicht? Für Abernethy zu arbeiten, den Dreck der Reichen und Berühmten auszugraben...«
»Dich nicht in mich zu verlieben.«
»Mich nicht in dich zu verlieben.«
»Wahnsinnig.«
»Verrückt.«
»Hör zu, Grillo, ich bin eine erbärmliche Krankenschwester, also rechne nicht mit meinem Mitleid. Wenn du praktische Hilfe brauchst, solange du krank bist, mußt du mir nur sagen, was ich tun soll.«
»Du könntest bei Ellen vorbeischauen. Ihr sagen, daß ich mir bei dem Kind die Grippe geholt habe. Mach ihr Schuldgefühle.
Das ist eine Riesenstory, und ich kenne bisher nur einen winzigen Teil.«
»Das ist mein Grillo. Krank, aber er schämt sich nie.«
288
Es war Spätnachmittag, als Tesla sich auf den Weg zu Ellen Nguyens Haus machte; sie weigerte sich, das Auto zu nehmen, obwohl Grillo sie warnte, daß ihr ein tüchtiger Fußmarsch bevorstand. Wind war aufgekommen und begleitete sie durch die Stadt. Es war ein Ort, in dem sie gerne einmal einen Thriller ansiedeln würde; zum Beispiel eine Geschichte über einen Mann mit einer Atombombe im Koffer. Natürlich war das schon einmal gemacht worden; aber ihre Geschichte hatte eine neue Wendung. Sie würde sie nicht als Parabel des Bösen sondern der Apathie erzählen. Die Leute beschlossen einfach, nicht zu glauben, was ihnen gesagt wurde; sie gingen mit gleichgültigen Gesichtern ihrem Tagwerk nach. Und die Heldin würde versuchen, die Leute aufzurütteln und ihnen die Gefahr bewußt zu machen, in der sie schwebten; aber das würde ihr nicht gelingen, und am Ende würde sie von einem Mob, der nicht wollte, daß sie Dreck aufwühlte, aus der Stadt
hinausgeworfen werden. In dem Augenblick würde die Erde beben und die Bombe hochgehen. Ausblenden. Ende. Natürlich würde der Film so nie gedreht werden, aber sie war Expertin darin, Drehbücher zu schreiben, die nie verfilmt wurden.
Trotzdem fielen ihr immer wieder Geschichten ein. Sie konnte keinen neuen Ort oder neue Gesichter sehen, ohne eine Handlung darum zu konstruieren. Sie analysierte die
Geschichten, die ihr Verstand zu jeder Besetzung und jeder Kulisse erfand, nicht allzu eingehend; es sei denn, sie waren -
wie jetzt - so offensichtlich, daß es unvermeidlich war.
Momentan sagte ihr Innerstes ihr, daß Palomo Grove eine Stadt war, die irgendwann mit einem Knall hochgehen würde.
Ihr Orientierungssinn war verläßlich und gut. Sie gelangte ohne Umwege zum Haus von Ellen Nguyen. Die Frau, die die Tür aufmachte, sah so zierlich aus, daß Tesla kaum wagte, lauter als flüsternd zu sprechen, geschweige denn, Beweise von Indiskretionen aus ihr herauszulocken. Sie verkündete schlicht und einfach die Tatsachen: daß sie auf Bitten von Grillo 289
gekommen war, weil er sich die Grippe geholt hatte.
»Keine Bange, er wird es überleben«, sagte sie, als sie Ellens gequälten Ausdruck sah. »Ich bin nur hergekommen, um zu er-klären, warum er nicht selbst zu Ihnen kommt.«
»Bitte kommen Sie herein«, sagte Ellen.
Tesla lehnte ab. Sie war nicht in der Stimmung für eine empfindsame Seele. Aber die Frau erwies sich als beharrlich.
»Ich kann hier nicht reden«, sagte sie, als sie die Tür zumachte. »Und ich kann Philip nicht zu lange allein lassen.
Ich habe kein Telefon mehr. Ich mußte zu meinem Nachbarn, um Mr. Grillo anzurufen. Würden Sie ihm eine Nachricht überbringen?«
»Gerne«, sagte Tesla und dachte: Wenn es ein Liebesbrief ist, werfe ich ihn in den Abfalleimer. Sie wußte, Ellen Nguyen war Grillos Typ. Hilflos, damenhaft, sanft. Alles in allem völlig anders als sie selbst.
Das ansteckende Kind saß auf dem Sofa.
»Mr. Grillo hat die Grippe«, sagte seine Mutter zu ihm.
»Warum
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