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Jenseits des Bösen

Jenseits des Bösen

Titel: Jenseits des Bösen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clive Barker
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wurde, beobachtete Howie an einer Straßenecke einen Mann, bei dem es sich, wie er später erfahren sollte, um den Pastor handelte, der vor dem Haus der McGuires auftauchte, wo er sich durch die
    geschlossene Tür hindurch vorstellte und - nach einer Pause, während Schlösser aufgeschlossen und Riegel entriegelt wurden - ins innerste Heiligtum eingelassen wurde. So eine Ablenkung würde sich heute abend nicht noch einmal bieten, vermutete Howie. Wenn es eine Gelegenheit gab, an der wachsamen Mutter vorbeizuschlüpfen und zu Jo-Beth zu
    gelangen, dann war sie jetzt gekommen. Er überquerte die Straße, vergewisserte sich aber vorher, ob niemand kam. Er hätte keine Angst haben müssen. Die Straßen waren
    außergewöhnlich still. Aus den Häusern tönte Lärm: Fernseher waren so laut gestellt, daß er beim Warten neun verschiedene Kanäle unterscheiden, Titelmelodien mitsummen und über Scherze lachen konnte. So konnte er sich ohne Zeugen zur Seite des Hauses schleichen; dann kletterte er über das Tor und ging den Weg zum Garten entlang. Währenddessen wurde in der Küche das Licht eingeschaltet. Er wich vom Fenster zurück. Es war aber nicht Mrs. McGuire, die hereingekommen war, sondern Jo-Beth, die dem Gast ihrer Mutter
    pflichtschuldigst ein Abendessen machte. Er beobachtete sie gebannt. Obwohl sie ein dunkles, schlichtes Kleid anhatte und einer gewöhnlichen Tätigkeit nachging, war sie doch der außergewöhnlichste Anblick, den er je gesehen hatte, trotz des unvorteilhaften Neonlichts. Als sie zur Spüle kam, um Tomaten zu waschen, kam er aus seinem Versteck. Sie bekam seine Bewegung mit und sah auf. Er hatte bereits den Finger an den Lippen, um sie zum Schweigen zu ermahnen. Sie winkte 297
    ihn fort - mit panischem Gesichtsausdruck. Er gehorchte keinen Augenblick zu früh, denn ihre Mutter erschien unter der Küchentür. Es folgte eine kurze Unterhaltung zwischen ihnen, die Howie nicht mitbekam, dann ging Mrs. McGuire wieder ins Wohnzimmer. Jo-Beth sah über die Schulter, um sich zu vergewissern, daß ihre Mutter fort war, dann kam sie zur Gartentür und schloß zögernd auf. Aber sie machte sie nicht so weit auf, daß er eintreten konnte. Statt dessen preßte sie das Gesicht in den Spalt und flüsterte:
    »Du hast hier nichts zu suchen.«
    »Ich bin aber hier«, sagte er. »Und du bist froh darüber.«
    »Nein.«
    »Solltest du aber sein. Ich habe Neuigkeiten. Gute Neuigkeiten. Komm heraus.«
    »Das kann ich nicht«, flüsterte sie. »Und sei leiser.«

»Wir müssen miteinander reden. Es geht um Leben und Tod.
    Nein... um mehr als Leben und Tod.«
    »Was hast du nur angestellt?« sagte sie. »Sieh nur deine Hand an.«
    Seine Versuche, die Hand zu säubern, waren bestenfalls oberflächlich gewesen, weil er so zimperlich war und die Rindenstücke kaum aus dem Fleisch ziehen konnte.
    »Das gehört alles dazu«, sagte er. »Wenn du schon nicht herauskommen willst, dann laß mich rein.«
    »Ich kann nicht.«
    »Bitte. Laß mich rein.«
    Gab sie wegen seiner Verletzung oder wegen seiner Worte nach? Wie auch immer, sie machte die Tür auf. Er wollte sie in die Arme nehmen, aber sie schüttelte mit einem so entsetzten Gesichtsausdruck den Kopf, daß er zurückwich.
    »Geh nach oben«, sagte sie, und jetzt flüsterte sie nicht einmal mehr, sondern hauchte die Worte nur noch.
    »Wohin?« erwiderte er.
    »Zweite Tür links«, sagte sie und war gezwungen, bei dieser 298
    Anweisung etwas lauter zu sprechen. »Mein Zimmer. Rosa Tür. Warte, bis ich das Essen hineingebracht habe.«
    Er hätte sie so gerne geküßt. Aber er ließ sie mit ihren Vorbereitungen weitermachen. Sie ging mit einem Blick in seine Richtung ins Wohnzimmer. Howie hörte einen
    Willkommensgruß von dem Besucher, was er als sein
    Stichwort nahm, aus der Küche zu schlüpfen. Es folgte ein Augenblick der Gefahr, als er - von der Wohnzimmertür aus sichtbar - zögerte, bis er die Treppe fand. Dann ging er hinauf und hoffte, das Gespräch unten würde seine Schritte übertönen.
    Der Rhythmus des Gesprächs änderte sich nicht. Er kam ohne Zwischenfälle zur rosa Tür und suchte Zuflucht dahinter.
    Jo-Beths Schlafzimmer! Er hätte nie zu hoffen gewagt, daß er einmal hier stehen würde, inmitten dieser Pastellfarben, und das Bett sehen würde, wo sie schlief, das Handtuch, mit dem sie sich nach dem Duschen abtrocknete, und ihre Unterwäsche.
    Als sie schließlich die Treppe heraufkam und hinter ihm das Zimmer betrat, kam er sich wie ein Dieb vor, der beim

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